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Konjunkturpaket: Hat die SPD die Gewerkschafter im Stich gelassen?

Konjunkturpaket

Hat die SPD die Gewerkschafter im Stich gelassen?

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    Zehntausende demonstrierten 2004 gegen die Hartz-Gesetze, darunter viele Mitglieder der IG Metall. Auch damals stand die SPD am Pranger.
    Zehntausende demonstrierten 2004 gegen die Hartz-Gesetze, darunter viele Mitglieder der IG Metall. Auch damals stand die SPD am Pranger. Foto: Christian Ditsch, Imago Images (Archiv)

    Es ist ein böses Wort, das die SPD-Chefs fürchten. Arbeiterverräter! Es rührt an der Seele der Partei, erinnert an alte Wunden und vergangene Schlachten. „Wer hat uns verraten – Sozialdemokraten!“ So keilten vor 100 Jahren während der Novemberrevolution der linke Flügel und die Linksradikalen gegen die damalige SPD-Führung. Der Vorwurf: Sie hätten in den angespannten Tagen mit Bourgeoisie, Militär und alter Elite gemeinsame Sache gemacht, um den wahren Sozialismus zu verhindern.

    Der Vorwurf, der Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken heute gemacht wird, hat nicht diese historische Dimension. Es geht nicht um alles oder nichts. Aber er ist dennoch zu laut, zu heftig, um einfach zu verhallen im geschäftigen Getriebe des politischen Betriebs. Er kommt auch aus dem eigenen Lager. Und er kommt von der mächtigen IG Metall. Weil im 130 Milliarden Euro schweren Konjunkturpaket, das die Große Koalition gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise geschnürt hatte, zwar von der Mehrwertsteuersenkung über den Familienbonus bis zu den Zuschüssen für Elektroautos vieles enthalten ist. Ausgerechnet die Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotor, die Volkswagen, Daimler und BMW so vehement gefordert hatten, aber kam nicht. Weil sich ausgerechnet die SPD dagegengestellt hatte.

    Er sei „stinksauer“, sagte Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht. „Die SPD-Spitze hat es nicht verstanden.“ Sein Amtskollege Saki Stimoniaris vom Lkw-Bauer MAN arbeitete sich ebenfalls an Esken und Walter-Borjans ab. „Die Parteispitze der SPD sollte sich hinterfragen. Vertritt sie tatsächlich noch die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer?“, schimpfte Stimoniaris. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann wurde genauso deutlich. Es gebe einen „massiven Vertrauensverlust der Beschäftigten der Autoindustrie und angrenzender Branchen gegenüber der Sozialdemokratie“, sagte er im Interview mit unserer Redaktion.

    Meist machte die SPD gemeinsame Sache mit den Gewerkschaften

    Beide Betriebsräte und der Gewerkschaftsboss stehen für den historischen Kern der über 150 Jahre alten SPD. Die Industriearbeiter und die Bergmänner begründeten ihren Aufstieg, als noch ein Kaiser auf Deutschlands Thron saß. Meist machte die Partei der Arbeiterklasse gemeinsame Sache mit den Gewerkschaften, aber es gab auch Streit. Ihr Milieu war dasselbe: Maloche, 12- Stunden-Schicht, Mietskasernen, die Verachtung der Oberschicht und der Kampf um Anerkennung. Kein Geld mehr am Monatsende, aber der Parteibeitrag wurde bezahlt. Es riecht nach Schweiß und Dreck. „Drum links, zwei, drei! Drum links, zwei, drei! Reih dich ein in die Arbeitereinheitsfront.“

    Das alles schwingt mit, ist sofort in den Köpfen, wenn die, die bei Audi, BMW oder Daimler am Fließband stehen, „ihre“ Partei nicht mehr verstehen. Eigentlich waren Esken und Nowabo, wie Walter-Borjans genannt wird, angetreten, um die SPD stärker zu ihren Wurzeln zu führen. Das Duo will die Partei nach links rücken. Und nun das. Die Bannerträger wenden sich ab. Dabei war das Verhältnis wieder besser geworden in den letzten Jahren. Die vorherigen SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel und Andrea Nahles hatten viel Zeit und Mühe in das Flicken der alten Bande gesteckt. Sie waren zerrissen, als die Sozialdemokraten die Agenda 2010 unter ihrem letzten Kanzler Gerhard Schröder durchsetzten. Hartz IV wurde von den Gewerkschaften als kalter Verrat der SPD an den eigenen Leuten empfunden. Die Verletzung ging so tief, dass sich Gewerkschafter und Agenda-Gegner bei der SPD zusammentaten und abspalteten. Die Führung der neuen Unabhängigen SPD (USPD), wie als historische Anlehnung gespottet wurde, übernahm Oskar Lafontaine. Er ist bis heute Schröders Intimfeind. Der Bruch, der durch das linke Lager ging, ist jetzt anderthalb Jahrzehnte her. „Links, zwei, drei“ war aus dem Gleichschritt gekommen.

    Bei den Gewerkschaften ist Hartz IV noch lange nicht vergessen. Reiner Hoffmann ist Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Dachorganisation der Gewerkschaften. Der Bund zählt sechs Millionen Mitglieder. Unter Hoffmann haben SPD und Gewerkschaften die alte Seilschaft wieder aufgenommen. Der 65-Jährige kann den Ärger der Metaller verstehen. „Es gibt einen handfesten Konflikt um ein Sachthema. Dass die IG Metall damit nicht zufrieden ist, kann ich nachvollziehen“, sagt er am Telefon. Dass sich die SPD-Spitze letztlich gegen die Abwrackprämie stellte, kam für ihn nicht überraschend. Hoffmann war mit Nowabo im Kontakt. „Es hat keine Sprachlosigkeit gegeben.“

    Nowabo sagt, es könne nicht sein, „dass eine Branche dem Staat diktiert, auf welche Weise die Förderung zu erfolgen hat“

    Walter-Borjans hat die Entscheidung, die ihm den Zorn der IG Metall einbrachte, allein getroffen. Er ging im Wald spazieren. Es hatte ihn privat ins Erzgebirge verschlagen. Ihm war klar, dass er Wut ernten würde. Vor Pfingsten hatten die Gewerkschaften auf einem Branchendialog der SPD die Partei gedrängt, Milliarden lockerzumachen, damit alte Wagen in der Schrottpresse landen und neue gekauft werden. Autohersteller und Zulieferer trommelten ebenso energisch für die Prämie, die sie nach der großen Finanzkrise 2009 wieder hochgeholt hatten. Es könne nicht sein, „dass eine Branche dem Staat diktiert, auf welche Weise die Förderung zu erfolgen hat“, verteidigte der 67-Jährige die Haltung später im Gespräch mit unserer Redaktion. In den meisten Kommentaren der Berliner Journalisten bekamen die SPD-Vorsitzenden Lob dafür, dass sie nicht umgefallen sind vor der organisierten Macht der IG Metall und der Autoindustrie. Die SPD ist selten der Liebling der Presse.

    Den Preis zahlen die Genossen in Form der Bruderkeile, die es von den Metallern setzt. Bei den anderen Gewerkschaften bleiben die Fäuste entspannt in den Hosentaschen. „Mit Autos haben wir nichts zu tun“, sagt die IG Bau. „Das Thema ist durch“, heißt es bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Die Gewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie will sich nicht äußern. Die Chemieindustrie hätte von der Abwrackprämie indirekt profitiert, weil sie Lacke und Kunststoffe an die Autohersteller liefert. DGB-Chef Hoffmann fasst es so zusammen: „Man kann nicht davon sprechen, dass das ein Grundsatzkonflikt ist. Der Streit wird bald überwunden sein.“

    Michael Schneider weiß, was ein Grundsatzkonflikt ist. Der Geschichtsprofessor füllt mit seinen Büchern und Aufsätzen zur Arbeiterbewegung Regalmeter. Schneider zählt auf: Da war der erbitterte Krach um das Streikrecht und die Führungsrolle in der Bewegung, der erst nach Jahren 1906 in Mannheim beigelegt wurde. Arbeiterkaiser August Bebel und Gewerkschaftsboss Carl Legien drechselten einen Kompromiss. Die versammelten Arbeitergesangsvereine erhielten stürmischen Applaus. „Wacht auf, Verdammte dieser Erde …“ heißt es in der ersten Strophe der Internationalen. Schon damals brauchte es einige Nachtsitzungen, um heikle Fragen zu befrieden.

    Oder, ein anderes Beispiel: das Jahr 1930 und der Kampf um die Arbeitslosenversicherung. Es ging um einen halben Prozentpunkt, den der Beitrag steigen sollte. Die SPD zerstritt sich intern, was zum Rücktritt von Reichskanzler Hermann Müller (SPD) führte. Es war das vorgezogene Ende der Weimarer Republik. Danach folgten die Präsidialkabinette, 1933 übernahm Hitler die Macht. Die Arbeiterbewegung hatte gemeinsam verloren.

    Nach dem Krieg kam es Mitte der 1960er Jahre erneut zur Zerreißprobe zwischen Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Letztere wollten die Notstandsgesetze verhindern, die die damalige Große Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Außenminister Willy Brandt (SPD) plante. Mit Streik wurde gedroht, und über den Zoff spaltete sich sogar das Gewerkschaftslager selbst. Und dann entzweiten Anfang des jungen Jahrtausends die Hartz-Reformen den Bund zwischen Partei und Gewerkschaften. Die SPD vermarktete ihr Werk unter „Fordern und Fördern“, die Arbeitnehmervertreter unter „Armut per Gesetz“. „Die Hartz-Gesetze haben ins Herz der gewerkschaftlichen Identität gestochen“, meint Michael Schneider. Den Ärger um die Abwrackprämie sieht er dagegen nur als Sturm im Wasserglas. „Da wird bald Gras drüber wachsen.“

    In der Autokrise sind zehntausende Stellen in Gefahr

    Die IG Metall kann es sich nicht leisten, sehr lange verstimmt zu sein. Denn im Konjunkturpaket steckt jede Menge drin, was die Stellen der Mitglieder sichert. Es gibt einen höheren Bonus für Elektroautos und Geld für den Ausbau des Ladenetzes. Der Bund verteilt mit einem Bonus-Programm eine Milliarde Euro zusätzlich an Autobauer und Zulieferer für Zukunftsinvestitionen. Außerdem öffnet der Finanzminister die Staatskasse, wenn Busse und Lkw ausgetauscht werden.

    Zudem wird die Metallgewerkschaft in den kommenden Jahren immer wieder die Hilfe der Bundesregierung brauchen, wenn der Abschied vom Diesel- und Benzinmotor ohne soziale Verwüstungen gestaltet werden soll. Zehntausende Stellen sind in Gefahr. „Da gibt es viel zu tun, und wir müssen darüber im Dialog bleiben“, sagt die SPD-Arbeitsmarktpolitikerin Katja Mast. Ihre Partei will die Arbeitsagenturen so umbauen, dass Beschäftigte lebenslang weitergebildet und neu qualifiziert werden.

    Und auch bei der IG Metall weiß man: Im Zweifel sind die Interessen der Gewerkschaftsmitglieder bei der SPD besser aufgehoben als bei Grünen oder Union. „Meine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften funktioniert konstruktiv und vertrauensvoll und ist in ihren Grundfesten unerschütterlich“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil unserer Redaktion.Heil ist bei der SPD, wie könnte es anders sein.

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