US-Präsident Barack Obama sieht den gewaltsamen Tod des früheren libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi als "Warnung" für alle Gewaltherrscher. In Gaddafis Heimatstadt Sirte wurden indes 267 Leichen gefunden. Das wurde auf Hinweis auf ein mögliches neues Massaker gedeutet. Die Vereinten Nationen sorgen sich inzwischen um den Verbleib von tausenden von tragbaren Flugabwehrraketen.
Die Botschafter der 28 Nato-Staaten hatten am vergangenen Freitag vorläufig beschlossen, den seit Ende März laufenden Militäreinsatz zum 31.Oktober zu beenden. Die endgültige Bestätigung war am Mittwoch vorgesehen. "Es scheint uns sinnvoll zu sein, noch etwas länger mit den Libyern und auch mit den Vereinten Nationen zu beraten", hieß es am Mittwoch bei der Nato in Brüssel. Es gab aber noch keine Hinweise, dass sie dem Wunsch des libyschen Übergangsrates entsprechen wird.
Zuvor hatte Mitglieder des Rates unterschiedliche Signale ausgesandt. Der Fernsehsender Al-Arabija berichtete, dass Libyen die Nato-Truppen gern einen Monat länger im Einsatz sehen würden. Der Vorsitzende des Übergangsrates, Mutafa Abdul Dschalil, habe während eines Besuchs in Katark die Hoffnung geäußert, dass die Nato ihren Einsatz mindestens bis zum Jahresende verlängere, berichtete dagegen die britische BBC.
US-Präsident Obama verriet in der Show von Talkshow-Moderator Jay Leno am Dienstagabend (Ortszeit) seine Gedanken zum Tod Gaddafis. Der libysche Ex-Diktator war am vergangenen Donnerstag in Sirte von Milizionären des Übergangsrates gefangen genommen und wahrscheinlich gezielt erschossen worden. "Man wünscht natürlich niemandem solch ein Ende, aber es sendet eine klare Botschaft an die Diktatoren rund um den Erdball", sagte Obama bei dem Auftritt.
Der "arabische Frühling" hat nach seinen Worten Gaddafi eine Chance zu einem demokratischen Wandel gegeben. "Wir haben ihm jede Gelegenheit dazu gegeben, aber er wollte das nicht." Der US-Präsident kritisierte jedoch die Art, wie der tote Diktator öffentlich zur Schau gestellt wurde. "Es gibt einen bestimmten Anstand, mit dem Tote behandelt werden müssen", sagte er.
Für neues Aufsehen sorgten mehr als 260 Tote, die in Sirte gefunden wurden. Sie seien vermutlich an Ort und Stelle erschossen worden, berichtete die libysche Webseite "Qurinaew" am Mittwoch unter Berufung auf Mitarbeiter des Roten Kreuzes. Diese hätten diese Informationen von libyschen Offiziellen aus Bengasi erhalten, die in Sirte mutmaßliche Massaker untersuchen.
Aus dem Bericht ging nicht hervor, wer die mögliche Bluttat begangen hat. Der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira berichtete, bei den Opfern habe es sich um Gaddafi-Getreue gehandelt. Eine unabhängige Bestätigung dafür gibt es allerdings nicht.
Nach dem Ende der Kämpfe in Libyen lösen sich die ersten Verbände der Revolutionstruppen auf. Die libysche Zeitung "Al-Qurayna Al-Jadida" meldete am Mittwoch auf ihrer Website, die "Rote Brigade", eine 600 Mann zählende Einheit aus der Stadt Misrata, sei dabei, sich aufzulösen Sie habe dies in einem Brief an den Vorsitzenden des Nationalen Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, angekündigt. Ihre Waffen habe sie dem Innenministerium übergeben.
Die Einheit hatte in Tripolis und Misrata gekämpft. Die Entwaffnung von Zivilisten, die während des Chaos beim Umsturz zahlreiche unbewachte Waffenlager plünderten hatten, hat noch nicht begonnen.
Die Vereinten Nationen machen sich inzwischen Sorgen um die Kleinst-Flugabwehrraketen, die es zu Tausenden in Libyen geben soll. "In keinem Land der Erde, außer den Herstellerländern, gibt es so viele dieser gefährlichen Raketen wie in Libyen", sagte der UN-Sonderbeauftragte Ian Martin am Mittwoch vor dem Sicherheitsrat in New York. Die kleinen Raketen, bekannt sind die amerikanischen "Stinger" oder die russischen "Strela", können von einem Einzelnen von der Schulter abgefeuert werden. Experten fürchten, dass Terroristen sie gegen Passagiermaschinen einsetzen könnten.
"Wir bemühen uns, diese Waffen möglichst schnell zu erfassen", sagte Martin. "Aber es gibt mehrere Hundert mögliche Lagerplätze, die wir alle untersuchen müssen, und das sofort." (dpa)