Die Freilassung von Deniz Yücel nach gut einem Jahr Haft ist eine große Freude und Erleichterung für den Reporter und seine Familie. Die Entscheidung der türkischen Gerichte enthält aber auch einige ernüchternde Wahrheiten, die den Wandel in den deutsch-türkischen Beziehungen verdeutlichen.
Zuerst fällt auf, dass die türkische Justiz nur einen Tag, nachdem Premier Yildirim bei seinem Deutschland-Besuch die Hoffnung auf die baldige Vorlage der Anklageschrift gegen Yücel zum Ausdruck brachte, genau eine solche produziert. Und obwohl darin 18 Jahre Haft für Yücel gefordert werden, ordnet das zuständige Gericht sofort die Freilassung des Journalisten an - obwohl andere Berichterstatter zum Teil noch viel länger in türkischer Haft gehalten werden.
Während Yücel freikam, wurden drei türkische Journalisten im selben Gefängniskomplex außerhalb von Istanbul zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Von einer Unabhängigkeit der türkischen Justiz kann also keine Rede sein. Das ist eine Entwicklung, die in Zukunft beim Umgang zwischen dem Westen und der Türkei einkalkuliert werden muss: Willkür wird zum politischen Faktor.
Trotz Yücel-Freilassung: Kein Signal für normale Beziehungen
Im Fall Yücel hat die türkische Regierung zudem gezeigt, dass sie für politischen und wirtschaftlichen Druck von außen empfänglich ist. Die Türkei ist außenpolitisch isoliert, hat sich mit den USA zerstritten und braucht dringend internationale Partner. Die türkische Wirtschaft steht vor großen Problemen. Da steht die Bundesrepublik als mögliche Helferin an vorderster Stelle. Deutschland hat deshalb auch seine starke wirtschaftliche Stellung ausgenutzt, um Yücel freizubekommen und klarzumachen, dass die Inhaftierung von Bundesbürgern negative Folgen hat.
Berlin hat staatliche Exportgarantien für Türkei-Geschäfte begrenzt, blockiert in der EU den Ausbau der Zollunion mit Ankara und lehnt den visafreien Reiseverkehr zwischen Europa und der Türkei ab. Kanzlerin Merkel betont, dass eine Freilassung von Yücel allein nicht ausreichen wird, um der Türkei neue politische Fortschritte in Europa zu sichern. Laut Berlin hat es keinerlei konkreten Gegenleistungen wie Rüstungsdeals für Yücels Freilassung gegeben. Ob das stimmt, werden die kommenden Wochen zeigen, denn die türkische Regierung kommt wegen des Falles unter Druck: Ihr wird vorgeworfen, sie lasse Yücel laufen, obwohl Staatspräsident Erdogan persönlich den Reporter einen feindlichen Agenten genannt hat.
Ankara hat deshalb ein Interesse daran, die Freilassung als Teil eines Deals mit den Deutschen hinzustellen. Wenn es Zugeständnisse aus Berlin gab, wird die türkische Regierung diese auch als solche präsentieren. Klar ist aber schon jetzt, dass die Lösung der Yücel-Krise keine Rückkehr zu normalen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei signalisiert: Das Verhältnis ist von Druck und Gegendruck bestimmt und davon, wer gerade am längeren Hebel sitzt. Bei Yücel waren das die Deutschen. Bei anderen Fragen, etwa in der Flüchtlingspolitik, ist das möglicherweise anders.
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