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Kommentar: Woher kommt die Queen-Begeisterung?

Kommentar

Woher kommt die Queen-Begeisterung?

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    Die britische Königin Elizabeth II. und Prinz Philip sind zu ihrem fünften Staatsbesuch in Deutschland.
    Die britische Königin Elizabeth II. und Prinz Philip sind zu ihrem fünften Staatsbesuch in Deutschland. Foto: Jörg Carstensen, dpa

    Eine Regel lautet: Versuchen Sie nicht, die Königin oder den Herzog von Edinburgh anzufassen. Dieser und weitere Hinweise sollen auf einem Leitfaden stehen, den jene Deutsche von der britischen Botschaft in Berlin erhalten haben, die diese Woche die Gartenparty zu Ehren der Queen besuchen dürfen. Im Rahmen ihrer Deutschland-Reise hat der Botschafter des Königreichs auf seinen Hauptstadt-Rasen geladen, und da dem gemeinen Deutschen die royale Etikette eher unbekannt sein dürfte, gab es eine Lehrstunde im Protokoll. Eine Verneigung vor Königin Elizabeth II. beispielsweise sei zwar nicht zwingend, gern gesehen ist sie natürlich. Die Aufregung, der Rummel, die Euphorie in der Bundesrepublik ob der Monarchin platzt vor Superlativen und regt zum Staunen an. Woher kommt diese Faszination an den Royals und damit einem hierzulande längst überwundenen System, das auf den genetischen Zufall setzt und auf Erblichkeit gründet?

    Queen so beliebt wie keine andere öffentliche Person

    In Deutschland und Österreich wurde der Adel juristisch mit dem Ende der Monarchien 1918 abgeschafft. In Großbritannien durchläuft die Monarchie herrliche Zeiten, die Regentin ist so beliebt wie keine andere öffentliche Person. Traditionen werden auf der Insel mit Leidenschaft, Standesdünkel und Hutbegeisterung zelebriert, wie gerade erst das Pferderennen in Ascot veranschaulicht hat.

    Mit antiquierten Gepflogenheiten feiern die Briten ihre Geschichte. Einige trauern noch immer dem einstigen Empire nach, der Kolonialismus mit all seinen Schattenseiten wird gerne verdrängt. Irrational blicken nicht nur viele Briten auf dieses herrschaftliche Theater voller Prunk, Pracht und Pomp. Eine perfekte Welt? Kaum.

    Doch die Ausstrahlung der 89-jährigen Chefin der Firma Windsor ist wirkungsmächtig. Die Queen sitzt seit mehr als 63 Jahren unaufgeregt auf dem Thron und steht in den Augen ihrer Untertanen als Symbol für Tugenden wie Pflichtbewusstsein und Hingabe, Disziplin und Standhaftigkeit.

    Und der vermeintliche Zauber der Blaublütigen schwappt in alle Welt, die nach Bildern und Geschichten giert als ob wir seit Jahrzehnten eine Seifenoper in Echtzeit schauen mit allem, was Fortsetzungen brauchen: Skandale, Affären, Reichtum und schöne Menschen, fast wie im Märchen.

    Gewählten Vertretern haftet wenig Glamouröses an

    Die Politik erstickt dagegen im Grau und leidet unter fehlenden Identifikationsfiguren und Glaubwürdigkeitsproblemen. Wie könnte es anders sein? Das Fundament Europas zeigt immer mehr Risse, viele Menschen fühlen sich ob der Komplexität der Welt und wirtschaftlichen Schwierigkeiten abgehängt. Den gewählten Vertretern haftet wenig Glamouröses an, Entscheidungen werden immer schnelllebiger. Dagegen hat das zwar alltagsferne, aber unerschütterliche Königshaus Bestand. Es verheißt Kontinuität, schafft Stabilität und Orientierung. Ihre Majestät ist auch noch da, wenn Premierminister oder Kanzler längst ihre Memoiren schreiben.

    Als die Queen kürzlich zur Parlamentseröffnung auf dem Thron das Programm verlas, fühlten sich Zyniker bestätigt: Auf dem Haupt der Königin funkelte die Prachtkrone, der Samtumhang mit Hermelinfutter und Goldbesatz lag ausgebreitet vor ihr. Dann verkündete sie im Namen der Regierung eine Sparpolitik mit der Kürzung von Sozialleistungen. Verblenden die Diamanten und das Protokoll unsere Urteilskraft? Mit Sicherheit. Aber die Faszination für die Royals passt offenbar in unsere Zeit, in der das Bedürfnis, mittels Hochglanzmagazine in die Welt der funkelnden Träumereien zu flüchten, ungestillt ist. Nur hat die Realität mit Märchen meistens nichts gemein. Sie ist nicht zum Anfassen.

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