Die jährliche Pressekonferenz des russischen Präsidenten Wladimir Putin mag eine hochgradige – und zuweilen schwer erträgliche – Inszenierung sein. Die Stunden aber bieten einen wichtigen Einblick in die Denkweise des Kreml – und die doppelten Realitäten im Land.
Die eine Wirklichkeit ist das tägliche Leben von Millionen von Russen, die gerade in der Pandemie vor Schwierigkeiten ächzen. Sie verlieren ihre Jobs, sie können ihre Kredite nicht mehr abzahlen, sie rutschen in die Armut. Sie sterben, weil Medikamente fehlen und das Klinik-Personal. Doch ihr Präsident sagt ihnen ungerührt: „Es war auch schon schlimmer. Wir müssen nur zusammenstehen, dann meistern wir jede Schwierigkeit. Das ist das Bedeutende der russischen Identität!“ Reißt euch also zusammen, ist die Botschaft, und erkennt endlich an, wie viel wir für euch Bürger tun.
Wladimir Putin umgeht in seiner Pressekonferenz alle kritischen Fragen
„Unser Land ist effektiv, unser Land ist gut, unser Land ist erfolgreich“, wiederholt Putin immer wieder. Es wirkt wie eine Beschwörungsformel aus dem Kreml, auch wenn der Kremlherr seit Wochen in seiner Vorstadtresidenz weilt. Und es wirkt wie eine Verhöhnung der Menschen, die sich nach einem entspannteren Leben sehnen, danach, ernst genommen zu werden vom Staat. Alle kritischen Fragen, die Journalisten und Zuschauer stellen, weiß Putin zu umgehen oder lächerlich zu machen. Nawalny? Wer ist das schon? „Dieser Patient einer Berliner Klinik“, nennt ihn Putin nur.
Auf der internationalen Bühne pocht Russland stets auf Zusammenarbeit und Kompromiss. Doch es lässt diese Formel nur zu, wenn die Zusammenarbeit nach seinen Vorstellungen läuft. Da hilft es auch nicht, dass Putin einen Slogan aus einem sowjetischen Zeichentrickfilm beschwört: „Lasst uns als Freunde zusammenleben.“
Das hat Moskau als Partner mit den Jahren schwieriger gemacht. Dass kaum Entspannung in die verfahrene Lage eintreffen wird, zeigt der Fall Nawalny – und der Umgang Moskaus damit. Schuld sind immer die anderen, die Russland seine Souveränität nicht gönnten und mit allen Mitteln versuchten, die bestehenden Machtverhältnisse zu diskreditieren. Es werde immer etwas gegen Russland ausgeheckt, ist die simple Erklärung aus dem Kreml. Es sind die USA, es ist Europa, es ist Deutschland, das den russischen Willen zur Kooperation torpediere. Moskau ist perfekt darin, sich als Opfer allerlei Angriffe zu sehen. „Wir haben eine reine Weste“, weiß Putin Fragen nach russischer Verantwortung abzuschmettern. Die eigenen Angriffe, die es freilich nicht als solche sieht, rechtfertigt es mit der Haltung: Wenn ihr uns für den bösen Buben haltet, dann sind wir auch der böse Bube. Warum auch über eigenes Verhalten nachdenken, wenn man sich für unfehlbar hält?
Pressekonferenz mit Putin: Russland bestreitet eine Vergiftung Nawalnys
Die Krim ist unser, in Belarus solle sich keiner einmischen außer uns, in Bergkarabach haben wir das Sagen – das ist die Sicht Moskaus. Und sie ist derzeit unverrückbar. Seit 2014 ist die Kommunikation mit Russland nicht einfacher geworden, die Vergiftung Nawalnys, die Russland vehement bestreitet und ausländische Geheimdienste dahinter wittert, ohne eine ernsthafte Untersuchung im eigenen Land beginnen zu wollen, hat das Verhältnis zum Westen nur noch verschlechtert.
Eine Wagenburg-Mentalität prägt die Führung im Land, ausgehend von Minderwertigkeitskomplexen, die sie mit dem Pochen auf Stärke auszugleichen versucht. Die Mittel, mit denen Russland und der Westen in der Welt eigene Positionen vertreten und etwas zu erreichen versuchen, sind geradezu diametral verschieden. Da eine gemeinsame Basis, ja Begrifflichkeiten für gewisse Dinge zu finden, ist die Herausforderung der Zukunft.
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