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Kommentar: Was uns das NSU-Urteil für die Asyldebatte lehrt

Kommentar

Was uns das NSU-Urteil für die Asyldebatte lehrt

Holger Sabinsky-Wolf
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    Beate Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
    Beate Zschäpe wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Ganz ohne Zweifel ist die Höchststrafe gegen Beate Zschäpe korrekt. Man muss nicht den Finger am Abzug einer Waffe haben, um zur zehnfachen Mörderin zu werden. Zschäpe ist irgendwann zur eiskalten Nazi-Braut geworden. Als gewalttätige Rassistin ging sie mit ihren beiden Kumpanen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in den Untergrund, verwaltete die Finanzen des Nationalsozialistischen Untergrunds, gab dem rechtsextremen Terrortrio eine bürgerliche Fassade. Und schließlich war sie es, die die konspirative Wohnung anzündete und die berüchtigten Paulchen-Panther-Bekennervideos verteilte. Es ist doch lächerlich zu glauben, dass diese Frau nichts von den Morden gewusst haben soll.

    Mehr als fünf Jahre lang wurde ein teures Strafverfahren geführt. Es war zeitweise unerträglich, wie die Neonazis und ihre Verteidiger den Prozesstakt vorgaben und rechtsextreme Zeugen das Gericht und die Angehörigen der Opfer durch ihr Schweigen verhöhnten. Aber die Qual war notwendig. Was sollte denn die Alternative in einem Rechtsstaat wie dem unseren sein? Die Schuld der Angeklagten ist nun geklärt. Der Makel des Prozesses bleibt, dass das braune Netzwerk nicht noch tiefer durchleuchtet worden ist. Ein Schlussstrich kann das Urteil nicht sein. Denn es geht um viel mehr als Beate Zschäpe und ihre braunen Freunde.

    Es geht um drei zentrale Fragen

    Es geht um drei zentrale Fragen, deren Beantwortung uns alle beschäftigen sollte. Sie betreffen die Vergangenheit, die Zukunft und die Gegenwart.

    1. Warum konnten die Ermittlungsbehörden die NSU-Mordserie nicht früher stoppen? Beschämende Antwort: Es gab ein totales staatliches Organversagen. Ein Chaos von Behörden, die sich misstrauten. Die Ermittler glaubten viel zu lange an eine türkische Mafia – Stichwort „Döner-Morde“. Der Verfassungsschutz versagte nicht nur, er behinderte Ermittlungen.

    2. Könnte es wieder eine rechtsextreme Mordserie in Deutschland geben? Beschämende Antwort: Vermutlich ja. Zwar würden die Ermittler wohl früher ein rassistisches Motiv in Betracht ziehen. Doch die Strukturen in den Sicherheitsbehörden sind unverändert. Es braucht dringend eine grundlegende Reform des Staats- und Verfassungsschutzes. Die Politik darf es nicht nur bei der Aufdeckung von Missständen mittels etlicher Untersuchungsausschüsse belassen, sondern muss diese Missstände abstellen.

    3. Tut jeder Einzelne heute genug gegen rechtes Gedankengut? Beschämende Antwort: Nein. Der Fokus auf die NSU-Morde und das Behördenversagen lenkt ab von einem massiven aktuellen Problem. Rechtes, rassistisches Denken und Reden wird schleichend wieder salonfähig. Es gibt erschreckende Parallelen.

    Die NSU-Mörder Böhnhardt und Mundlos sollen durch die ausländerfeindlichen Pogrome Anfang der 90er Jahre in ihrer Radikalisierung bestärkt worden sein. Damals brannten Asylheime, es gab Tote. Seit dem Beginn des Flüchtlingszustroms gibt es wieder Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte und deren Bewohner. Im Gegensatz zu damals bleibt der große gesellschaftliche Aufschrei aber aus. Die Stimmung im Land scheint latent fremdenfeindlich zu werden. Böhnhardt und Mundlos hätte es wohl gefallen in diesem Deutschland.

    Politiker sind mitverantwortlich für die aufgeheizte Atmosphäre

    Einen großen Teil der Verantwortung an der aufgeheizten Atmosphäre tragen Politiker, die die Ängste und Ressentiments der Menschen weiter schüren, anstatt die Migration sachorientiert zu steuern. Und die kommen mitnichten nur von der AfD. Wer derlei geistige Brandstifterei betreibt, sollte sich anhand der Neonazi-Mordserie klarmachen, wohin das führen kann.

    Es wäre der größte Erfolg des NSU-Prozesses, wenn er eine erzieherische Wirkung auf die hysterische Asyldebatte entfalten könnte.

    Hier können Sie unseren Liveticker zum NSU-Prozess nachlesen.

    Unser Bayern-Redakteur und Rechtsexperte Holger Sabinsky-Wolf erklärt im Video, ob mit dem Urteil zu rechnen war und wie es nun weitergeht - schließlich haben die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe bereits Revision angekündigt.

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