Worte könnten wie winzige Arsendosen sein, hat der große Linguist Victor Klemperer gesagt. Sie werden unbemerkt verschluckt, scheinen keine Wirkung zu tun - und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.
Deswegen gilt es auch politische Worte vorsichtig zu wählen. Begriffe wie „Schande“ oder „Dammbruch“ sollten die absolute Ausnahme bleiben, weil sie sich rasch abnutzen. Wenn beide am Mittwoch durch die Republik geisterten, dann aus einem einzigen Grund - was im Thüringer Landtag vor sich ging, ist eine Schande. Und: Es droht ein Dammbruch.
In Thüringen stellt sich die CDU indirekt an die Seite der AfD
Die „Alternative für Deutschland“, deren Thüringer Landesvorsitzenden man laut Gerichtsbeschluss einen „Faschisten“ nennen darf, hat einen Ministerpräsidenten ins Amt gehievt. Und zwar nicht irgendeinen, sondern den Vertreter der FDP - in Thüringen eine Splitterpartei, die es kaum über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft hatte. Das ging nur, weil sich die dortige CDU indirekt an die Seite von Höcke stellte, der 75 Jahre nach der Auschwitz-Befreiung das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ ansieht.
Das ist ein Skandal und ein Dammbruch. Kurz konnte man annehmen, dass alle nur hereingelegt wurden. Doch dann nahm Kemmerich - im Machttaumel? - die Wahl an. Danach gratulierte ihm FDP-Vize Wolfgang Kubicki begeistert zur Wahl. Und schließlich forderte FDP-Chef Christian Lindner den neuen Ministerpräsidenten NICHT zum sofortigen Rücktritt auf. Lindner schloss zwar Neuwahlen nicht aus. Aber machen sie die Schande vergessen?
Sämtliche Entwicklungen rund um die Wahl von Thomas Kemmerich zum thüringischen Ministerpräsidenten gibt es hier im Live-Blog.
Lesen Sie zum Thema auch ein Porträt von Thomas Kemmerich: Das ist der neue Thüringer Ministerpräsident Thomas Kemmerich
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