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Kommentar: Was Katalonien von Bayern lernen kann

Kommentar

Was Katalonien von Bayern lernen kann

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    "Freiheit": Protest in Barcelona.
    "Freiheit": Protest in Barcelona. Foto: Nicolas Carvalho Ochoa, dpa

    Die Reflexe sind überall die gleichen, ob in Katalonien, in Flandern, Schottland oder der Lombardei. Hier der Nationalstaat als Synonym für alles Ungerechte und Unvollkommene – dort eine Region, wirtschaftsstark und selbstbewusst, die sich allein durch ihre schiere Zugehörigkeit zu eben jenem Nationalstaat im Nachteil wähnt. Nicht in jedem Land nimmt der Separatismus deshalb gleich Formen wie in Spanien an, wo ein irrlichternder Provinzfürst den Konflikt auf die Spitze treibt. In der Summe aber müssen die Autonomiebewegungen, die über Korsika und Grönland bis zur ungarischen Minderheit in Rumänien reichen, ganz Europa zu denken geben. Das häufig bemühte Europa der Regionen ist für viele seiner Regionen offenbar mehr Fluch als Segen.

    Nicht nur die Katalanen, auch die Flandern wären bereit, für ihre Unabhängigkeit einen hohen Preis zu bezahlen – den Verzicht auf eine Mitgliedschaft in der EU und der Eurozone. 60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge hat die große Idee von einem gemeinsamen Europa in den Mitgliedsländern viel von ihrer Faszination verloren. Das Bild vom alles vereinnahmenden, alles bestimmenden Brüssel hat nicht nur die Briten in den Brexit getrieben – es liefert auch die Blaupause für die Autonomiebestrebungen in Regionen wie Katalonien, der Lombardei oder Venetien, die sich von den Zentralregierungen in Madrid und Rom ähnlich bevormundet fühlen.

    Ein Europa der nationalen und regionalen Egoismen aber hat auf Dauer keine Zukunft – auch wenn diese Egoismen sich aus höchst unterschiedlichen Motiven ableiten. In Spanien schwingt noch immer der Hass auf den Diktator Franco mit, der den Katalanen sogar ihre Sprache verbot. Im wohlhabenden Norditalien dagegen geht es weniger um staatliche Unabhängigkeit als um zutiefst materielle Interessen, weil von dem hohen Steueraufkommen nur ein kleiner Teil in den Regionen bleibt, die es erwirtschaften. Die Flandern wiederum liegen irgendwo dazwischen. Sie argumentieren mit ihrer kulturellen Identität, die sie von der französischsprachigen Wallonie in Belgien trenne, aber auch mit den Milliardensummen, die sie dorthin überweisen. Würde Katalonien tatsächlich unabhängig, könnte das eine Art Domino-Effekt auslösen. Aus Sardinien ist schon eine Gruppe von Separatisten nach Barcelona gepilgert, um sich Anschauungsunterricht im Unabhängigkeitskampf geben zu lassen...

    Mal geht es um die Kultur – und mal ums Geld

    Die europäische Idee fußt auf Integration, nicht auf Sezession, und die EU ist auch kein Verbund von Regionen, sondern ein Verbund von Staaten. Umso befremdlicher jedoch ist es, wie gelähmt EU-Europa den Konflikt mit den Katalanen verfolgt – als handle es sich um ein rein spanisches Problem. Tatsächlich geht es um nicht weniger als die Zukunft der Union: Soll Europa in die Kleinstaaterei zurückfallen und die EU irgendwann aus 90 Ländern bestehen, wie Jean-Claude Juncker bereits unkt, der Präsident der Kommission? Braucht dieses Europa, im Gegenteil, nicht funktionierende, potente Nationalstaaten, um seinen Platz zwischen den USA und aufstrebenden Mächten wie China oder Indien zu behaupten?

    Mit der rückwärtsgewandten Logik der Katalanen könnte im Übrigen auch Bayern seine Freiheit zurückfordern: widerstrebend Souveränität an den Kaiser in Berlin abgegeben, später in einen Bundesstaat eingemeindet und seit Jahrzehnten der Zahlmeister der Republik. Warum es trotzdem klüger ist, eine starke Region in einem starken Land zu bleiben, mit einer starken Währung im Rücken und starken Partnern in Europa an der Seite, kann Horst Seehofer dem Kollegen Carles Puigdemont bei Gelegenheit ja mal erklären.

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