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Kommentar: Was Deutschland aus Italiens Impfpolitik lernen kann

Kommentar

Was Deutschland aus Italiens Impfpolitik lernen kann

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    Rom erlebt Straßenkrawalle sowie harte Auseinandersetzungen zwischen Links und Rechts wegen der italienischen Corona-Politik.  	Ohne Versöhnung drohen Generationen lange Brüche
    Rom erlebt Straßenkrawalle sowie harte Auseinandersetzungen zwischen Links und Rechts wegen der italienischen Corona-Politik. Ohne Versöhnung drohen Generationen lange Brüche Foto: Antonio Masiello, Getty Images

    Von diesem Montag an müssen Italiens Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen den sogenannten Green Pass vorzeigen, wenn sie zur Arbeit gehen. Das bedeutet, sie müssen geimpft sein, Covid-19 überstanden haben oder einen negativen Test vorzeigen. Damit hat die Regierung von Ministerpräsident Mario Draghi eine indirekte Impfpflicht eingeführt. Denn praktisch und finanziell gesehen ist es von niemandem zu verlangen, sich für den Gang zum Arbeitsplatz alle paar Tage auf Corona testen zu lassen. Die Impfquote steigt angesichts der Verschärfung der Regeln weiter, unter der erwachsenen Bevölkerung sind mehr als 80 Prozent vollständig geimpft. Das Kalkül der Regierung, die eine Vollimmunisierung der Bevölkerung anstrebt, geht auf.

    Vorreiter einer Entwicklung, die Freiheitsrechte drastisch einschränkt

    In der EU ist Italien Vorreiter einer Entwicklung, in der Freiheitsrechte drastisch eingeschränkt werden. Gerechtfertigt werden diese Maßnahmen mit der Bedrohung durch die Pandemie. Das ist legitim, wenn man andere Einschränkungen nicht mehr in Kauf nehmen will. Die Folgen einer solchen Politik sollten aber nicht aus den Augen gelassen werden. Denn Politik, die mit Zwang ans Ziel kommen will, bedarf absoluter Transparenz. Dann können die Betroffenen die extreme Entscheidung nachvollziehen, andernfalls wächst radikaler Protest. Italiens Nachbarländer tun deshalb gut daran, mit Zwangsmaßnahmen nicht zu weit zu gehen. Sie blicken gespannt auf die Entwicklung südlich der Alpen.

    Registriert wird auch der Widerstand gegen die Maßnahmen. Regelmäßig gehen Tausende beispielsweise in Rom und in Mailand auf die Straße, um friedlich gegen die Maßnahmen zu protestieren. Die Menge ist vielfältig, sie eint allein der Protest gegen die harten staatlichen Maßnahmen. Man hat es mit Verschwörungstheoretikern zu tun, mit Impf-Gegnern, mit Impf-Skeptikern oder Menschen, denen die staatlichen Antworten auf die Pandemie schlicht zu weit gehen. Auch Extremisten sind unter den Demonstranten, sie versuchen den Protest für ihre Zwecke auszunutzen. Vor einer Woche stürmten Rechtsextremisten den Sitz einer Gewerkschaft in Rom, am Samstag unterwanderten Linksextreme eine Demonstration in Mailand.

    Nicht alle Gegner sind Extremisten

    Es ist also falsch, diejenigen, die sich gegen die Zwangsmaßnahmen auflehnen, generell als Extremisten abzustempeln. Die Vernünftigen unter den Kritikern haben gute Argumente. De facto zwingt der italienische Staat die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Italien zur Impfung. Formaljuristisch gesehen handelt es sich bei einer Impfung um eine Körperverletzung, deshalb müssen Geimpfte per Unterschrift einwilligen und jede Verantwortung für die Folgen der Immunisierung übernehmen. So schützen sich Staat und Hersteller gegen Schadensersatzansprüche. Die Corona-Impfungen haben – daran besteht kein Zweifel – meist sehr geringe, aber in sehr seltenen Fällen auch schwere Nebenwirkungen. Einige von ihnen stehen auf den Beipackzetteln der Präparate.

    De facto verpflichtet Italien 23 Millionen Arbeitnehmer zur Immunisierung. Konsequenterweise müsste der Staat eine Antwort geben auf die Frage, was mit den wenigen Pechvögeln ist, die von der Impfung Schaden davontragen. Weil eine derart offene Kommunikation dem Ziel einer fast vollständigen Impfquote entgegensteht, wird das Thema unter dem Teppich gehalten. Doch Fragen, die künstlich vermieden werden, drängen irgendwann an die Oberfläche.

    Impfzwang vertieft die gesellschaftliche Spaltung

    Das gilt auch für den wachsenden Extremismus in Italien, der angefeuert von den gesellschaftlichen Spaltungen in Folge der Pandemie eine besorgniserregende Blüte erlebt. Italiens Verfassungsväter haben die Verfassung 1946 nach der verheerenden Erfahrung des Faschismus aufgesetzt. Doch die Neofaschisten sind Umfragen zufolge heute mit rund 20 Prozent derzeit stärkste Partei im konservativen Lager. Während linke Parteien an die eigene Partisanen-Tradition erinnern, fühlen sich Mitglieder rechter Parteien nicht repräsentiert. Ein nie gelöster Konflikt der Nachkriegszeit drängt heute wieder an die Oberfläche: Am Samstag in Rom demonstrierten Zehntausende mit Partisanen-Liedern und -symbolen aus Solidarität für die von Rechtsradikalen angegriffene Gewerkschaft. Gleichzeitig zeigen rechte Extremisten wieder besonders Präsenz in der Öffentlichkeit und in den Institutionen.

    Staat muss Versöhnungspolitik fördern

    Wie kann dieser auch in vielen Ländern auf unterschiedliche Art bestehende Konflikt gelöst werden? Die „andere Seite“ ihrer Fehler oder kruden Ansichten zu beschuldigen, verspricht wenig Fortschritt. Stattdessen werden Differenzen auf diese Weise zu handfesten Konflikten. Vielversprechend hingegen ist die Methode Aufarbeitung von Konflikten auf Generationen übergreifender, persönlicher und gesellschaftlicher Ebene mit den Methoden der Versöhnungspolitik. Hier müssten vor allem Versöhnungsprojekte vom Staat gefördert werden.

    In der Psychologie ist bekannt, wie die Folgen schwerer Konflikte über mehrere Generationen hinweg unbewusst übertragen werden und heutige Generationen prägen, in Italien, Deutschland, Österreich und anderswo. Die Aufschlüsselung dieser meist aus Treue zur eigenen Familie aufrechterhaltenen Verhaltensmuster wäre ein mühsamer, aber vielversprechender Schritt in die richtige Richtung aus Italiens Politik zu lernen.

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