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Kommentar: Warum wir keine Putin-Versteher sein dürfen

Kommentar

Warum wir keine Putin-Versteher sein dürfen

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    Wladimir Putin wird am Sonntag erneut zum russischen Präsidenten gewählt.
    Wladimir Putin wird am Sonntag erneut zum russischen Präsidenten gewählt. Foto: Alexei Druzhinin, dpa

    Es ist gefährlich, Wladimir Putin gefährlich zu werden. Offenbar lebensgefährlich. Der Skandal um die mutmaßlich von Russland orchestrierte Giftgasattacke auf einen russischen Ex-Spion ist nur ein weiterer Ausläufer jener Blutspur, die sich durch Putins Jahre an der Macht zieht.

    Wer ihn hierzulande kritisch sieht, riskiert nicht sein Leben. Aber gerät doch gesellschaftlich ins Kreuzfeuer. Oft schallt solchen Kritikern entgegen – von ganz links, von ganz rechts, aber auch aus der sogenannten bürgerlichen Mitte –, es mangele wohl an Respekt vor dem Riesenreich, das so viel erlitten habe von deutscher Hand. „Wirst du etwa vom amerikanischen Geheimdienst bezahlt?“, lautet ein beliebter Vorwurf.

    Gerne sagen Putins Verteidiger, die russische Seele sehne sich nun mal nach einer starken Hand, das zeige ja schon die Popularität des Präsidenten. Kurzum: Wer den Mann im Kreml allzu kritisch angeht, so das Diktum, versteht Russland einfach nicht.

    Putins Regime ist eben keine lupenreine Demokratie

    Brandgefährlich wäre aber, sich dadurch von der Kritik an Putin abbringen zu lassen. Gewiss, es steht uns Deutschen kaum an, Russland belehren zu wollen (interessanterweise existieren ähnliche Hemmungen gegenüber Israel nicht). Auch würde Putin am Sonntag in der Tat selbst bei ganz transparenter Auszählung locker eine weitere Amtszeit gewinnen.

    Trotzdem ist sein Regime keineswegs eine lupenreine Demokratie, wie der Putin-Fan (und Angestellte?) Gerhard Schröder einmal diagnostizierte. Sondern ein Regime, das zynische Machtpolitik betreibt, in Syrien wie in der Ukraine, Fake News streut und in Osteuropa wieder auf Einschüchterung setzt – sowie offenbar auf den Straßen von London zu morden versucht.

    Putin mag die große Inszenierung.
    Putin mag die große Inszenierung. Foto: Alexey Druginyn, dpa

    Zudem: eine Kleptokratie, in der eine winzige Elite Milliarden außer Landes schafft. Die Belege für die irrwitzige Korruption der Putin-Vertrauten füllen Bibliotheken.

    Bezahlen müssen dafür die russischen Bürger, deren Zukunft verscherbelt wird. Die Infrastruktur des Riesenlandes ist verrottet, russische Ingenieure melden kaum Patente an. Ein russischer Jugendlicher hat eine etwa so hohe Lebenserwartung wie einer im Chaos-Staat Haiti. Die soziale Schieflage ist schiefer als in den vermeintlich so unsozialen USA.

    Auch die Russen haben ein Recht auf demokratische Werte

    Warum die Russen dennoch zufrieden scheinen, dass Putin fast wie einst Stalin oder die Zaren unkontrolliert durchregiert? Das liegt wohl kaum daran, dass sie keine demokratischen Gelüste verspüren. Über kaum ein anderes Volk würden wir uns so einen Satz zu sagen wagen. Nein, es liegt daran, dass sie schlicht keine Chance hatten, eine funktionierende Demokratie zu formen. Die wirren Jahre nach dem Ende der Sowjetunion bestimmte Boris Jelzin, trinkstark, aber politisch schwach. Bald übernahm Putin – mit dem erklärten Ziel, das wird immer klarer, demokratische Institutionen höchstens als Fassade stehen zu lassen.

    Das ist ihm gelungen: Es existiert in Russland derzeit kein „öffentlicher Raum“, den Jürgen Habermas als unerlässlich für demokratische Diskurse definierte. Es gibt kein Vertrauen in Institutionen. Es gibt nur den – von gefügigen Staatsmedien stetig eingeträufelten – strikten Glauben an Putin.

    Wer diesen unseligen Zustand kritisch beschreibt, will nicht den Kalten Krieg neu befeuern oder von den Sünden anderer Nationen ablenken, sondern einfach daran erinnern, dass demokratische Werte auch für Russen gelten. Zumal für jene, die Putins Härte alltäglich spüren, kritische Blogger etwa, Feministinnen, Homosexuelle.

    Schon in deren Sinne müssen wir es aussprechen, immer wieder: Putins Russland ist eine Autokratie.

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