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Kommentar: Warum man den Wohnungsmarkt nicht Aktiengesellschaften überlassen darf

Kommentar

Warum man den Wohnungsmarkt nicht Aktiengesellschaften überlassen darf

Simon Kaminski
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    Alte und neue Wohnbausubstanz im Berliner Bezirk Friedrichshain. Die Hauptstadt hat eine besonders hohe Quote von Mietwohnungen.
    Alte und neue Wohnbausubstanz im Berliner Bezirk Friedrichshain. Die Hauptstadt hat eine besonders hohe Quote von Mietwohnungen. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Das Urteil war schnell gefällt. Als wirr, infantil antikapitalistisch, ja sogar linksextrem wurden die Initiatoren des erfolgreichen Berliner Volksentscheids der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ disqualifiziert. Tatsächlich waren unter den Organisatoren und Organisatorinnen auch Gruppen, für die Marktwirtschaft generell Teufelszeug ist. Dennoch ist die heftige Kritik zu pauschal – und das ist gefährlich. Denn wer den für den Berliner Senat rechtlich unverbindlichen Volksentscheid als Werk linker Spinner und naiver Weltverbesserer abtut, der unterschlägt, welch immenser sozialer Sprengstoff in der Frage nach bezahlbarem Wohnraum liegt.

    Ein Mehrparteien-Mietshaus nahe des Berliner Alexanderplatzes mit dem Fernsehturm im Blickfeld. Die Hauptstadt hat eine besonders hohe Quote von Mietwohnungen.
    Ein Mehrparteien-Mietshaus nahe des Berliner Alexanderplatzes mit dem Fernsehturm im Blickfeld. Die Hauptstadt hat eine besonders hohe Quote von Mietwohnungen. Foto: Wolfgang Kumm

    Nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen anderen Metropolen stehen Mieterinnen und Mieter mit dem Rücken zur Wand, während andere erst gar keine bezahlbare Wohnung finden. Das liegt natürlich auch daran, dass in Berlin und anderswo zu wenig gebaut wird, dass eine Tendenz zur Überregulierung zu beklagen ist, die die Baufreude hemmt.

    Dennoch: Der Spruch, es gibt drei erfolgversprechende Rezepte gegen Wohnungsnot und steigende Mieten, nämlich „bauen, bauen, bauen“, klingt längst hohl. Denn die Frage ist ja auch, für wen gebaut wird. Es hat nichts mit Antikapitalismus zu tun, wenn man nüchtern feststellt, dass die Deutsche Wohnen oder Venovia weniger das Wohl ihrer Mieter als Profit und den Erfolg ihrer Aktionäre im Blick haben. Die Berichte über Willkür und brachiale Geschäftspraktiken sind Legion. Kurz gesagt: Es geht um Rendite. Das ist für eine Aktiengesellschaft völlig legitim.

    Die Frage ist also, ob aktiengetriebene Unternehmen auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich Schaden anrichten. Die Antwort ist ja. Denn die Konzerne sind einer der Gründe dafür, dass in vielen deutschen Städten das Wohnen – ein Grundbedürfnis also – auch für Menschen, die in Vollzeit arbeiten, unerschwinglich ist oder zu werden droht. In Berlin gab es eine klare Mehrheit von über 56 Prozent für den Volksentscheid, also für eine Vergesellschaftung. Wenig überraschend, aber auffällig ist, dass die Zustimmung für den Entscheid in gut situierten Vierteln am geringsten war, am höchsten hingegen in den Bezirken, in denen die Angst wächst, die Wohnung nicht mehr bezahlen zu können.

    Unterstützer der Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" jubeln während der Wahlparty nach dem aus ihrer Sicht erfolgreichen Volksentscheid.
    Unterstützer der Initiative "Deutsche Wohnen und Co. enteignen" jubeln während der Wahlparty nach dem aus ihrer Sicht erfolgreichen Volksentscheid. Foto: Monika Skolimowska, dpa-Zentralbild, dpa

    Ausdruck einer wachsenden Spaltung der Gesellschaft, die die Politik nicht kalt lassen darf – zumal Parteien aller Couleur für die desaströse Situation Verantwortung tragen. Lange vor der Wende gab es in der Bundesrepublik mehr als vier Millionen Sozialwohnungen, heute sind es etwa 1,2 Millionen. Viele Städte haben ihren Wohnungsbestand an Wohnungsbaugesellschaften verhökert. Eine fatale, kurzsichtige Entscheidung, für die jetzt ein hoher Preis gezahlt wird. Die Fehler der Vergangenheit sind nur schwer zu korrigieren. Nicht nur ist eine Enteignung der Aktiengesellschaften für Städte wie Berlin kaum zu finanzieren, sie ist auch rechtlich höchst umstritten.

    Enteignungen also werden in der aktuellen Krise nicht helfen, sie könnten die Bautätigkeit im Gegenteil zunächst weiter bremsen. Das ist eine schlechte Nachricht für die Initiatoren des Volksentscheids. Doch es könnte ihr Verdienst sein, dass im Land die Überzeugung weiter wächst, dass die Verwaltung von Wohnungen – genauso wie etwa die Wasserversorgung – nicht in die Hände von Aktiengesellschaften gehört.

    Der Staat muss dort präsent sein, wo es gilt, sozial Schwache zu schützen

    Das ist keine Absage an die Marktwirtschaft. Privatwirtschaftliches Engagement bleibt der Pfeiler moderner Wohnungsbaupolitik. Der Staat muss dort präsent sein, wo es gilt, sozial Schwächeren menschenwürdiges und bezahlbares Wohnen zu ermöglichen.

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