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Kommentar: Warum Martin Schulz nicht Bundeskanzler wird

Kommentar

Warum Martin Schulz nicht Bundeskanzler wird

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    Schulz gegen Merkel heißt das Duell ums Kanzleramt.
    Schulz gegen Merkel heißt das Duell ums Kanzleramt. Foto: Olivier Hoslet, dpa (Archiv)

    Der Zauber, der seit Hermann Hesse jedem Anfang innewohnt, verführt die SPD zu einem tollkühnen Gedankenexperiment: Getragen von einer Welle der Sympathie erobert Martin Schulz im Herbst das Kanzleramt, ein Mann aus kleinen Verhältnissen, ehrgeizig, eloquent und ohne Scheu vor der großen Aufgabe, die ihn dort erwartet. Er selbst ist es, der am Tag nach Sigmar Gabriels Verzicht das vermeintlich Unmögliche beschwört: Ein Herausforderer, dessen Regierungserfahrung sich auf elf Jahre als Bürgermeister einer Kleinstadt beschränkt, stürzt die mächtigste Frau der Welt.

    Die Kraft der Autosuggestion, die viele Genossen in dieser Woche erfasst hat, wird allerdings kaum bis zum Wahltag reichen. Dazu sitzt Angela Merkel, obschon politisch angeschlagen, noch zu fest im Sattel. Anders als Gerhard Schröder, der mit seiner beherzt-pragmatischen Art auch für Konservative und Liberale wählbar war und 1998 überdies vom allgemeinen Verdruss über die Lethargie der letzten Kohl-Jahre profitierte, ist Schulz kein Kandidat, der außerhalb des sozialdemokratischen Milieus nennenswert punkten kann. Dass Gabriel für ihn Platz gemacht hat, folgt ja vor allem parteitaktischen Überlegungen. Schulz, in der SPD deutlich populärer als er, kann die eigenen Anhänger besser mobilisieren, das bringt etwas Schwung in den Wahlkampf und in den Umfragen auch schon den einen oder anderen Prozentpunkt mehr. Nur: Um die Kanzlerin zu schlagen, ist das zu wenig.

    Martin Schulz: Abhängig von Grünen und Linken

    Für sie ist Martin Schulz vielleicht der etwas schwerer auszurechnende Kandidat. Aber kann er ihr wirklich gefährlich werden? Wähler, die Angela Merkel ihre Flüchtlingspolitik ankreiden, werden kaum ins Lager eines Mannes überlaufen, der gesagt hat, der Terror gehöre zu den Lebensrisiken des 21. Jahrhunderts. Außerdem, und das wiegt ungleich schwerer, fehlt Schulz eine klare strategische Option. Schröder hatte gleich deren zwei: Rot-Grün oder eine Große Koalition unter Führung der SPD. Schulz kann, wenn überhaupt, nur Kanzler werden, wenn Grüne und Linke mit ihm koalieren oder die FDP erstens den Sprung zurück in den Bundestag schafft und sich zweitens auf eine Ampelkoalition einlässt – beides Bündnisse mit eingebauten Sollbruchstellen. Angela Merkel dagegen geht es wie ihrem Vorgänger Schröder: Mit viel Glück reicht es für Schwarz-Grün oder für Schwarz-Gelb, wenn nicht, steht wie immer die SPD parat.

    Langsam, aber sicher, nähert sich Deutschland so österreichischen Verhältnissen an, wo Konservative und Sozialdemokraten, von einem kurzen, spektakulären Flirt der ÖVP mit Jörg Haiders Freiheitlichen abgesehen, seit Jahrzehnten wie ein altes Ehepaar miteinander verbandelt sind: Man hat sich aneinander gewöhnt, irgendwie kann keiner mehr ohne den anderen, zugleich aber wächst mit jeder Wahl der Frust – in der Koalition, vor allem aber draußen, im Land.

    Angela Merkel: Ihr größtes Problem ist Horst Seehofer

    In Österreich speisen sich aus diesem Frust die Wahlergebnisse der rechtspopulistischen FPÖ. In Deutschland ist die AfD zwar noch bei weitem nicht so stark, die Mechanismen allerdings ähneln einander fatal. Den Mut, diesen Automatismus des Althergebrachten mit einem spektakulären Manöver zu durchbrechen, zum Beispiel mit einer Kandidatur des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz, hatten weder die SPD noch Scholz selbst. Wie Schröder einst in Niedersachsen hat auch er bewiesen, dass er regieren kann – deshalb zöge er auch Wähler aus anderen Lagern an.

    Wenn nichts Unvorhergesehenes mehr passiert, kann Angela Merkel ihrem vierten Kampf ums Kanzleramt gelassen entgegensehen. Ihr größtes Problem ist nicht Martin Schulz, sondern Horst Seehofer.

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