Vor dem Hintergrund der Pandemie haben das Coronavirus und der Bundestag eins gemeinsam: Sie sind nur sichtbar, wenn man genau hinschaut. Allein der mikroskopische Blick macht im Parlament Bewegungen sichtbar, die seine Kontrollfunktion gegenüber der Regierung noch erkennen lassen. Das gilt vor allem für die Koalitionsfraktionen von Union und SPD. Sie haben ihrer Entmachtung tatenlos zugesehen.
Noch nie war das Parlament in einer Krise so schwach, war die Exekutive so stark wie in diesen Zeiten der Pandemie. Bei der weltweiten Finanzkrise 2007/2008 etwa waren die Abgeordneten zu Recht darauf bedacht, an allen wichtigen Entscheidungen beteiligt zu werden. Der Druck aus Berlin ging so weit, dass Kanzlerin Angela Merkel bei ihren Verhandlungen in Brüssel erst die Entscheidungen ihrer Abgeordneten in der Heimat abwarten musste und bis dahin zu Handlungsunfähigkeit verdammt war. In der Corona-Krise dagegen gibt es keinen Druck. Das Parlament hat ein Vakuum hinterlassen, in das die Regierung vorgestoßen ist.
Corona-Gesetze wurden praktisch nur durchgewunken
Statt sich von Anfang an aktiv ins Geschehene einzumischen und einen Kurs vorzugeben, machte das Parlament erst einmal zu. Nur noch wenige Abgeordnete konnten aufgrund von Corona-Beschränkungen an den Plenarsitzungen teilnehmen, die Mitarbeiter wurden ins Homeoffice geschickt. Während überall im Land Kassiererinnen dem Virus in engen Ladengeschäften ausgesetzt waren, herrschte in den riesigen, gut durchlüfteten Fluren und Büros vieler Parlamentsbauten gähnende Leere. Das änderte sich auch nicht, als im Land zahlreiche Beschränkungen wieder gelockert wurden.
Sitzungswochen werden zwar abgehalten. Nahezu alle verabschiedeten Gesetze mit Corona-Bezug gehen jedoch auf Regierungshandeln zurück und wurden praktisch nur durchgewunken. So geschehen beispielsweise beim Gesetz zur finanziellen Entlastung der Kommunen oder beim Insolvenzaussetzungsgesetz. Die Überschreitung der Regelgrenze zur Kreditaufnahme wurde vom Parlament erst genehmigt, nachdem Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier bereits vollmundig Milliardenhilfen versprochen hatten. Mehr noch: Mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes wurde Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) das Recht eingeräumt, per Verordnung von geltenden Gesetzen abweichen zu dürfen. Der Deutsche Anwaltverein sieht Parallelen zum Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten in der Weimarer Republik. Nicht zu Unrecht.
Corona-Beschlüsse werden immer wieder von Gerichten gekippt
Der Fraktionschef der Union, Ralph Brinkhaus, hatte zum Amtsantritt angekündigt, der Regierung wieder schärfer auf die Finger schauen zu wollen. Gerade in der Corona-Krise sollten diesen Worten Taten folgen. Denn die Tatenlosigkeit hat Folgen. Seit Monaten kritisieren die Verwaltungsgerichte in ihren Beschlüssen, dass der Bundestag die Corona-Auflagen nicht auf gesetzliche Füße stellt. Verordnungen werden reihenweise gekippt. Wohin das führen kann, zeigt das Chaos beim Beherbergungsverbot gerade sehr deutlich.
Die gute Nachricht: Krisen sind immer auch die Stunde der Opposition, und die nimmt ihre Funktion trotz Corona wahr. Sie formuliert Anfragen an die Bundesregierung, stellt Anträge – und fordert darin beispielsweise die Aussetzung der Luftverkehrssteuer – oder schreibt gar eigene Impfkonzepte.
Auch der Bundestag wusste zu Beginn der Pandemie nicht, wie sich die Corona-Krise entwickelt. Er hätte mit seinen enormen Ressourcen gleichwohl viel früher eingreifen müssen. Jetzt, wo die zweite Welle das Land erfasst hat, ist sein Handeln allemal gefragt.
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