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Kommentar: Wann endlich redet Merkel Klartext mit Erdogan?

Kommentar

Wann endlich redet Merkel Klartext mit Erdogan?

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    Künftige Gespräche zwischen Merkel und Erdogan werden jetzt sicher nicht einfacher.
    Künftige Gespräche zwischen Merkel und Erdogan werden jetzt sicher nicht einfacher. Foto: Rainer Jensen/Archiv (dpa)

    Liebend gern hätte die Bundesregierung weiter geheim gehalten, was nun ans Licht der Öffentlichkeit gelangt ist und die deutsch-türkischen Beziehungen weiter verschlechtern wird: Die Türkei hat sich nach Einschätzung von Kanzleramt und Innenministerium zur „zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierungen der Region des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt“. Das betretene Schweigen Berlins über dieses angebliche „Büroversehen“ ist verständlich. Denn das vertrauliche Papier, das mit dem SPD-geführten Außenministerium nicht abgestimmt war, hat es in sich. Wenn der türkische Präsident Erdogan – und das ist ja der Knackpunkt der Lageanalyse – tatsächlich als Pate und Förderer diverser islamistischer, auch terroristischer Gruppen fungiert, dann wirft diese Erkenntnis einige beunruhigende, nach dieser Enthüllung noch dringlicher gewordene Fragen auf.

    Wohin führt Erdogan sein Schritt für Schritt islamisiertes, von Europa wegdriftendes Land? Auf welcher Seite steht die Türkei eigentlich im Kampf gegen den Terrorismus, der den Westen in Atem hält? Und wie sinnvoll und glaubwürdig war und ist es, sich zum Zweck einer Entschärfung der Flüchtlingskrise in die Hände dieses Mannes zu begeben? Eines Mannes, der nicht nur ein autoritäres Regime errichtet und demokratische Grundrechte missachtet, sondern offenbar auch mit vielen jener islamistischen Kräfte und Strömungen kooperiert, die den freien Gesellschaften den Krieg erklärt haben. Dazu zählen die „Hamas“, die Israel von der Landkarte tilgen will, oder die ägyptische Muslimbruderschaft, die einflussreichste sunnitisch-islamistische Bewegung der arabischen Welt. Sogar der „Islamische Staat“ (IS) konnte offenbar lange auf die klammheimliche Unterstützung Ankaras zählen, das Dschihadisten aus ganz

    Erdogan scheint jedes Mittel recht zu sein

    Um den syrischen Despoten Assad zu stürzen, seinen Einfluss in der Region zu mehren und einen Kurdenstaat zu verhindern, scheint Erdogan jedes Mittel recht. Seine ideologische Nähe zu den Muslimbrüdern und sein großtürkischer Traum, zum Führer der arabischen Massen aufzusteigen – das sind zwei Seiten einer Medaille. Dass die zunehmend islamischer werdende Türkei enge Kontakte zu Islamisten pflegt, war bekannt. Neu und entsprechend brisant ist, dass die Bundesregierung diese Fakten offiziell zu Papier bringt und die Türkei als „Plattform“ für (terroristische) Aktionen bezeichnet. Das ist ein schwerwiegender Vorwurf, der einerseits konkrete Erläuterungen erfordert und der Regierung andererseits eine Antwort hinsichtlich möglicher Konsequenzen abverlangt. In den ausweichenden und abwiegelnden Stellungnahmen von Kanzleramt und Außenministerium spiegelt sich – nun schon zum wiederholten Mal – die Angst wider, Erdogan könnte den Flüchtlingsdeal aufkündigen und der EU einen neuen Flüchtlingsansturm einbrocken.

    Deshalb fassen Merkel und Steinmeier Erdogan weiterhin nur mit Samthandschuhen an. Richtig ist: In der Politik kann man sich seine Freunde und Gesprächspartner nicht aussuchen, und natürlich muss Europa an der Zusammenarbeit mit der geopolitisch eminent wichtigen Türkei gelegen sein. Aber wann, wenn nicht jetzt, will die Bundesregierung dem türkischen Machthaber klarmachen, dass die Grenzen des in einer Partnerschaft Erträglichen überschritten sind? Es bedarf klarer Worte und eines unmissverständlichen Signals, dass Europa weder Erdogans antidemokratischen Staatsumbau noch die Unterstützung terroristischer Gruppen einfach hinnehmen kann. Der Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen wäre ein solches Signal.

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