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Kommentar: Von einem Rassenkrieg sind die USA weit entfernt

Kommentar

Von einem Rassenkrieg sind die USA weit entfernt

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    Schlimme Tage in Dallas.
    Schlimme Tage in Dallas. Foto:  Erik S. Lesser (dpa)

    Wer die erschütternden Bilder gesehen hat vom Tod zweier Afroamerikaner durch Polizistenkugeln einerseits, vom Amoklauf gegen Beamte in Dallas andererseits, der kann dem Eindruck einer Eskalation erliegen: Werden die Dinge nicht immer schlimmer seit dem Tod des schwarzen Teenagers Trayvon Martin 2012 in Florida, den Krawallen in Ferguson und dem Mord an zwei Polizisten 2014 in New York? Haben Konservative wie Donald Trump recht mit der Behauptung, das Verhältnis zwischen den Rassen werde in den USA zunehmend schlechter? Nein, denn zumindest langfristig ist das falsch, und kurzfristig verdanken sich entsprechende Stimmungsschwankungen dem zynischen Kalkül derjenigen, die damit politisch zu punkten versuchen.

    Dass Diskriminierung heutzutage auf Smartphones dokumentiert werden kann, bedeutet nicht, dass es sie früher seltener gab. Historisch muss man blind sein, um zu verkennen, wie stark sich die Gesellschaftsstrukturen in den vergangenen 50 Jahren aufgeweicht haben. Drei der sechs Polizisten, die 2015 in Baltimore wegen des Todes eines Afroamerikaners angeklagt wurden, sind selbst schwarz, wie auch der Richter, der über sie urteilt. Gleiches gilt für die aktuelle Justizministerin und ihren Vorgänger, deren Behörde regelmäßig Diskriminierungsfälle an sich zieht. Auch der Polizeichef von Dallas ist schwarz.

    In der Metropole war die Anzahl der Beschwerden über exzessive Polizeigewalt zuletzt drastisch gesunken. Bei der Kundgebung am Donnerstag begegneten Sicherheitsdienste den Protestierern nicht in martialischer Militärausrüstung, sondern in leichter Sommeruniform. Manche Demonstranten machten Selfies mit diesen Polizisten, die ihre Sprüche sogar per Twitter verbreiteten. Als der Kugelhagel begann, taten die Beamten das Menschenmögliche, um die „Black Lives Matter“-Aktivisten zu schützen. Umgekehrt darf das Tempo nicht übersehen werden, mit dem sich das Land nach der Katastrophe um seine Uniformträger scharte. Von einem Rassenkrieg sind die USA weit entfernt.

    Das Schüren der Aufregung dient manchen als willkommene Ablenkung. Lippenbekenntnisse zu den Sicherheitskräften gehören im rechten Lager zwar seit jeher zum guten Ton. Gerade dort beschwören Waffenlobbyisten aber seit Jahren die Notwendigkeit privater Kriegsbereitschaft gegen einen vermeintlich tyrannischen Regierungsapparat. Dieselben Kreise blockieren jeden Anlauf, Waffen zu verbieten, denen selbst Beamte wehrlos gegenüberstehen.

    Mit dem Geschäftsinteresse geht durchaus Rassismus einher. Eine Minderheit sehnt den offenen Konflikt herbei. Täter wie Micah J. zuvorderst, der in Dallas so viele Weiße wie möglich umbringen wollte, oder Dylann R., der vergangenes Jahr in Charleston neun schwarze Bibelstundenbesucher erschoss, sind Beispiele.

    Dass Rassismus so unverhohlen zutage tritt, ist ohne die Person Barack Obamas nicht zu erklären. Ein bei einigen verspürter Schock nach der Wahl des ersten schwarzen US-Präsidenten hat in bestimmten Kreisen Dinge salonfähig gemacht, die früher allenfalls hinter vorgehaltener Hand geraunt wurden. Die Gegenreaktion derjenigen, die um ihre vertraute Welt fürchten, fällt umso harscher aus, je mehr ihre Aussichtslosigkeit zutage tritt: Obama wurde von einer mehrheitlich weißen Bevölkerung nicht nur wiedergewählt. Zum Ende seiner Amtszeit ist er so beliebt, dass seine Partei ihn als ersten Präsidenten seit Jahrzehnten offensiv in den Nachfolgewahlkampf einbindet. Weder Ronald Reagan noch Bill Clinton war das vergönnt.

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