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Kommentar: Vergleich mit Asien zeigt: Wir sind zu verwöhnt für die Krise

Kommentar

Vergleich mit Asien zeigt: Wir sind zu verwöhnt für die Krise

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    In Japan (hier eine Straße in Tokio) gibt es kaum Zweifel am Sinn der Maskenpflicht. Das schützt die Bevölkerung.
    In Japan (hier eine Straße in Tokio) gibt es kaum Zweifel am Sinn der Maskenpflicht. Das schützt die Bevölkerung. Foto: XinHua, dpa

    Noch im Sommer waren viele Bürger fast ein bisschen stolz auf ihr Land. Deutschland schien die erste Welle der Corona-Pandemie verhältnismäßig glimpflich überstanden zu haben. Tatsächlich war die Zahl der Toten im Vergleich etwa zu Frankreich, Spanien und Großbritannien sehr viel niedriger. Es gab ausreichend Beatmungsgeräte, die Intensivstationen waren nicht überlastet. Bilder von Lastern mit Leichen, wie sie aus Wuhan, Bergamo und New York zu sehen waren, gab es nicht.

    Dann kam der Herbst. Und die Vorteile, die sich Deutschland mit einem rechtzeitig angeordneten Lockdown im Frühjahr und viel Glück verschafft hatte, waren durch eine zu rasche Lockerung verspielt. Die Bürger waren zu leichtsinnig geworden.

    Wie nun aus einer Studie des Lowy Institute im australischen Sydney hervorgeht, hat Deutschland im Corona-Management rückblickend denn auch nur mittelmäßig abgeschnitten. Die Studie sieht die Bundesrepublik gerade mal auf Platz 55 von insgesamt 98 bewerteten Ländern. Am besten schnitt Neuseeland ab, auf dem letzten Platz landete Brasilien.

    Das deutsche Gesundheitssystem steht am Rande seiner Kapazitäten

    Was auffällt: Insbesondere Länder im asiatisch-pazifischen Raum gelten als sehr viel erfolgreicher bei der Eindämmung der Pandemie. Länder wie Taiwan, Vietnam und Südkorea schafften es durch konsequente Lockdowns, die Ausbreitung des Virus weitgehend in Schach zu halten. In den meisten Ländern dieser Region verläuft das Leben wieder so wie vor der Pandemie.

    Chronologie der Corona-Pandemie in Deutschland

    Im Januar 2020 ist die erste Corona-Infektion in Deutschland bekannt geworden. Ein Rückblick:

    27. Januar: Erste bestätigte Infektion in Deutschland. Zwei Wochen später ist der Mann aus Bayern wieder gesund.

    25./26. Februar: Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen melden erste nachgewiesene Fälle. Weitere Bundesländer folgen, am 10. März hat Sachsen-Anhalt als letztes Land seinen ersten Fall.

    9. März: In NRW gibt es die ersten Todesfälle innerhalb Deutschlands. Die Zahl der Infektionen steigt bundesweit auf mehr als 1000.

    12./13. März: Immer mehr Theater und Konzerthäuser stellen den Spielbetrieb ein. Die Fußball-Bundesliga pausiert.

    16. März: An den Grenzen zu Frankreich, Österreich, Luxemburg, Dänemark und der Schweiz gibt es Kontrollen und Einreiseverbote. In den meisten Bundesländern sind Schulen und Kitas geschlossen.

    17. März: Mehrere Konzerne kündigen an, ihre Fabriken vorübergehend zu schließen.

    22. März: Verbot von Ansammlungen von mehr als zwei Menschen. Ausgenommen sind Angehörige, die im eigenen Haushalt leben. Cafés, Kneipen, Restaurants, aber auch Friseure zum Beispiel schließen.

    15. April: Auf eine schrittweise Aufnahme des Schulbetriebs ab 4. Mai verständigen sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Länderchefs.

    20. April: Geschäfte unter 800 Quadratmetern Fläche dürfen wieder öffnen. Als erstes Bundesland führt Sachsen die Maskenpflicht für ÖPNV und Einzelhandel ein. Alle anderen ziehen nach.

    22. April: Für Firmen, Arbeitnehmer und Gastronomie werden milliardenschwere Hilfen beschlossen.

    6. Mai: Die Länder bekommen weitgehende Verantwortung für die Lockerung von Beschränkungen - etwa für Hotels, Gastronomie, Fahrschulen, Schwimmbäder und Fitnessstudios.

    16. Mai: Sachsen-Anhalt registriert als erstes Bundesland seit Ausbruch der Pandemie keine Neuinfektionen im Vergleich zum Vortag. Die Fußball-Bundesliga legt wieder los - ohne Fans in den Stadien.

    16. Juni: Im Kampf gegen das Virus geht eine staatliche Warn-App an den Start. Sie soll dabei helfen, Infektionen nachzuverfolgen. 

    29. August: Etwa 40.000 Menschen protestieren in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen. Demonstranten durchbrechen die Absperrung vor dem Reichstag und stürmen auf die Treppe.

    30. September: Angesichts wieder steigender Infektionszahlen fordert die Kanzlerin zum Durchhalten auf. "Wir riskieren gerade alles, was wir in den letzten Monaten erreicht haben", sagt Merkel im Bundestag.

    7./8. Oktober: Die Bundesländer beschließen ein Beherbergungsverbot für Urlauber aus inländischen Risikogebieten. 

    22. Oktober: Die Zahl der Neuinfektionen binnen eines Tages hat erstmals den Wert von 10.000 überschritten. Das Robert Koch-Institut (RKI) macht vor allem private Treffen dafür verantwortlich.

    2. November: Ein Teil-Lockdown mit Einschränkungen bei Kontakten und Freizeitaktivitäten soll die zweite Infektionswelle brechen.

    9. November: Als erste westliche Hersteller veröffentlichen Biontech und der US-Pharmakonzern Pfizer vielversprechende Ergebnisse einer für die Zulassung ihres Corona-Impfstoffs entscheidenden Studie.

    18. November: Unter dem Protest Tausender in Berlin machen Bundestag und Bundesrat den Weg für Änderungen im Infektionsschutzgesetz frei.

    25. November: Die Beschränkungen für persönliche Kontakte werden für weitere Wochen verschärft. Darauf verständigen sich Bund und Länder.

    27. November: Die Zahl der nachgewiesenen Infektionen in Deutschland hat nach RKI-Daten die Millionenmarke überschritten. 

    2. Dezember: Als erstes Land der Welt erteilt Großbritannien dem Impfstoff von Biontech und Pfizer eine Notfallzulassung und startet seine Impfkampagne wenige Tage später. 

    16. Dezember: Der seit November geltende Teil-Lockdown reicht nicht aus. Der Einzelhandel muss mit wenigen Ausnahmen schließen.

    18. Dezember: Die Zahl der binnen eines Tages gemeldeten Infektionen in Deutschland ist erstmals auf mehr als 30.000 gestiegen.

    21. Dezember: Zum Schutz vor einer infektiöseren Virus-Variante dürfen keine Passagierflugzeuge aus Großbritannien mehr in Deutschland landen. Der Corona-Impfstoff von Biontech erhält von Brüssel die bedingte Marktzulassung. Somit können die Impfungen in der EU beginnen. Am 6. Januar wird auch der von Moderna zugelassen.

    24. Dezember: Heiligabend im Zeichen der Pandemie. Familienfeiern sollen klein bleiben, Christmetten wenn überhaupt nur auf Abstand stattfinden. Zudem wird die in Großbritannien aufgetretene Variante des Coronavirus erstmals auch in Deutschland nachgewiesen.

    26. Dezember: Einen Tag vor dem offiziellen Impfstart werden in einem Seniorenzentrum in Sachsen-Anhalt eine 101 Jahre alte Frau und etwa 40 weitere Bewohner geimpft. 

    27. Dezember: In allen Bundesländern beginnen die Impfungen. Zuerst sollen Menschen über 80, Pflegeheimbewohner sowie Pflegekräfte und besonders gefährdetes Krankenhauspersonal immunisiert werden.

    1. Januar 2021: Deutschland kommt vergleichsweise ruhig ins neue Jahr. Der Verkauf von Silvesterfeuerwerk war verboten. 

    14. Januar: Das Statistische Bundesamt schätzt, dass die deutsche Wirtschaftsleistung 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 5,0 Prozent eingebrochen ist.

    15. Januar: Mehr als zwei Millionen Corona-Fälle sind hierzulande bekannt geworden, knapp 45.000 Menschen sind an oder unter Beteiligung einer nachgewiesenen Sars-CoV-2-Infektion gestorben.

    19. Januar: Bund und Länder verlängern den Lockdown bis Mitte Februar. Zudem werden die besser schützenden FFP2-Masken oder OP-Masken in Bus und Bahn sowie beim Einkaufen obligatorisch.

    21. Januar: Mehr als 1,3 Millionen Menschen haben in Deutschland bereits ihre erste Corona-Impfung erhalten, etwa 77.000 auch schon die zweite. (dpa)

    Stellt sich die Frage: Warum scheint es vielen hierzulande so viel schwerer zu fallen als Asiaten, simple Verhaltensregeln zu befolgen, wie Menschenansammlungen zu meiden oder Masken zu tragen? Ist es die oft behauptete Autoritätsgläubigkeit in Fernost?

    Der Ökonom Clemens Fuest vom Ifo-Institut liefert folgende Erklärung: Die meisten westlichen Industrieländer seien „satte Wohlstandsgesellschaften“. Den Menschen gehe es gut, sie seien daher nicht so leicht bereit, ihre Gewohnheiten zu ändern. In weniger saturierten Ländern, die zudem in jüngerer Zeit noch viel Wandel durchgemacht haben, seien die Menschen Veränderungen gewohnt. In anderen Worten: Wir im Westen sind zu verwöhnt.

    China gehört zu den Ländern mit den weltweit schärfsten Corona-Regeln. Bereits seit dem Frühsommer gilt die Pandemie als weitestgehend unter Kontrolle. Auch für Kinder ist das Tragen von Mund-Nasenschutz Alltag.
    China gehört zu den Ländern mit den weltweit schärfsten Corona-Regeln. Bereits seit dem Frühsommer gilt die Pandemie als weitestgehend unter Kontrolle. Auch für Kinder ist das Tragen von Mund-Nasenschutz Alltag. Foto: Andy Wong, dpa (Symbolbild)

    Was sich daraus ableiten lässt: Viele Menschen hierzulande können sich offenbar nicht mehr vorstellen, dass ein System auch kollabieren kann. An einem solchen Punkt waren wir im Pandemiejahr zwar an keiner Stelle. Dass das deutsche Gesundheitswesen nicht zuletzt nach Jahrzehnten der Unterbezahlung seines Personals nun am Rande seiner Kapazitäten steht und Patienten nicht mehr aufgenommen werden können – das war zuletzt schon real. Wahrnehmen wollten viele das aber nicht.

    Die Corona-Pandemie wird nicht die letzte Krise sein

    Im Gegenteil: Wissenschaftlich begründete Warnungen vor genau einem solchen Zustand wurden selbst im Herbst, als die Infektionszahlen wieder steil anstiegen, als Alarmismus abgetan. Und auch jetzt erwecken die Stimmen einiger noch immer den Anschein, Abstandsregeln und die Lockdown-Maßnahmen dienten der Schikane und nicht der Rettung von Leben. Wie Lobbyisten schachern gesellschaftlichen Gruppen um die eigenen Vorteile, die Umgehung von Maßnahmen wird zur Tugend erklärt. Widerspenstigkeit als Selbstzweck.

    Auch in asiatischen Ländern gibt es Aufmüpfige, die sich nicht an die Vorschriften gehalten haben. Trotzdem gibt es dort in der öffentlichen Meinung einen viel breiteren Konsens darüber, dass Abstandhalten und Quarantäne zur Eindämmung der Pandemie wichtig sind. Das Maskentragen wurde nicht gleich ideologisiert oder zerredet, wie es zu Beginn der Pandemie auch hierzulande der Fall war.

    Diese Pandemie wird nicht die letzte Krise sein. Die Klimakrise hat gerade erst begonnen, große Umwälzungen stehen im Zuge der Digitalisierung und Globalisierung an, verbunden mit weiteren Verwerfungen. Sind gesättigte Gesellschaften für diese Umwälzungen gewappnet? Der Umgang mit dieser Pandemie lässt daran zweifeln.

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