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Kommentar: Unsere Debattenkultur ist überdreht

Kommentar

Unsere Debattenkultur ist überdreht

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    Entsetzen und Ratlosigkeit sind nach der Attacke in Frankfurt.
    Entsetzen und Ratlosigkeit sind nach der Attacke in Frankfurt. Foto: Arne Dedert

    Es gibt Leitartikel, die können nicht bloß Analyse anbieten, sondern auch Lösungen. Dieser

    Diese Diagnose lautet: Wir leben in einer höchst nervösen, ja einer ratlosen Republik. Diese Nervosität führt dazu, dass wir uns zunehmend selber lähmen - oder zumindest die Debatten, die diese Nervosität, diese Ratlosigkeit lindern könnten.

    Zwei Beispiele aus der jüngeren Zeit unterstreichen diesen Befund. Da ist die grauenvolle Kindstötung am Bahnsteig von Frankfurt, die die Frage aufwirft, wozu Menschen anscheinend fähig sind. Sie wirft aber auch die Frage auf, wie sehr Menschen fähig sind, diese Untat für ihre jeweilige ideologische Agenda zu mobilisieren. Eine Bundestagsabgeordnete der AfD verfluchte nach der Tat in einem Tweet den Tag der Geburt von Kanzlerin Angela Merkel - denn diese habe Deutschland nicht nur dies noch angetan, sie könne auch als kinderlose Frau niemals das Leid einer Mutter verstehen. Am anderen Ende des Spektrums stellten Kommentatoren jeden Verweis auf die ausländische Nationalität des Täters umgehend unter Rassismus-Verdacht.

    Die Debattenkultur ist überdreht

    So überdreht ist die Debattenkultur, dass Abhilfe schwer möglich scheint. Fakten sind außer Mode geraten, und das nicht nur an hitzigen Sommertagen. Wer fest überzeugt ist, dass der Tod in Deutschland an jedem Gleis, auf jeder Straße, hinter jeder Hecke lauert, wischt die - erstaunlich niedrigen - Kriminalitätsstatistiken schnaubend zur Seite. Wer umgekehrt den Zuzug möglichst vieler Migranten zum einzig denkbaren Weg in eine rosige deutsche Zukunft erklärt hat, wertet selbst die sanfteste Hinterfragung als Fremdenhass.

    Dieser seltsame Dualismus beschränkt sich keineswegs auf die Flüchtlingspolitik. Auch zu ihrer Rolle in der Welt haben die Deutschen nichts Klares zu sagen, wie die Diskussionen dieser Woche zeigten. Die Debatte um einen möglichen Iran-Einsatz kreiste nicht um deutsche Interessen oder gar eine Strategie - sie kreiste um die Frage, ob man für oder gegen Donald Trump ist.

    Auch so entstehen Fake News. Wer sich nur noch auf seine eigene Wahrheit einlässt, ist in Wahrheit ebenfalls ein: Wahrheitsverfälscher. Das gefährdet, was eine demokratische Gesellschaft im Innersten zusammenhält: der öffentliche Raum, in dem bessere Gedanken im Dialog eine Gesellschaft nach vorne bringen.

    Die Volksparteien müssten einen Dialog moderieren

    Zu so einem Dialog könnte gehören, stolz über die Leistungen in der Flüchtlingskrise zu sprechen - und zugleich offen über deren Schattenseiten. Zu so einem Dialog könnte die Meinung gehören, trotz schrecklicher Anschläge oder Morde keine ähnliche Sicherheitsarchitektur aufbauen zu wollen wie die Amerikaner nach den Anschlägen vom 11. September. Und andererseits die Ansicht, dass Sicherheit kein Schimpfwort ist, und Verteidigungspolitik auch nicht.

    Von so einem Diskurs ist Deutschland gerade meilenweit entfernt. Das gilt übrigens auch für die Diskussionen über die Wirtschaftslage und Innovationspolitik, die zwischen Panik und Ignoranz schwanken.

    Eigentlich müssten die Volksparteien diesen Dialog moderieren. Doch deren wichtigsten Akteure wirken gerade in der Großen Koalition in Berlin eher wie Überlebenskämpfer in eigener Sache.

    Darauf zu warten, ist für uns als Bürger aber zu bequem. Letztlich speist sich der Diskurs eines Landes aus jedem von uns. Das Gute daran: Wir können ihn jederzeit ändern.

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