Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Sebastian Kurz nimmt ein Land in Geiselhaft

Kommentar

Sebastian Kurz nimmt ein Land in Geiselhaft

    • |
    Sebastian Kurz war seit 2017 - mit einer kurzen Unterbrechung - österreichischer Bundeskanzler.
    Sebastian Kurz war seit 2017 - mit einer kurzen Unterbrechung - österreichischer Bundeskanzler. Foto: Georg Hochmuth/APA/dpa

    Es ist eine Schimäre, die Sebastian Kurz am Samstagabend hinlegte – und, wie so oft, eine zutiefst österreichische Lösung. Sie scheint aufzugehen. Nachdem der österreichische Kanzler – mittlerweile von der Staatsanwaltschaft der Untreue und der Bestechlichkeit beschuldigt – tagelang betont hatte, er wolle im Amt bleiben und mit den Grünen weiter regieren, trat er zur besten Sendezeit im ORF-Fernsehen vor die Kameras und kündigte an, „Platz zu machen“.

    Grüne wollen mit Alexander Schallenberg als Kanzler weiterregieren

    Die Pandemie (die Kurz übrigens bereits zwei Mal für beendet erklärt hatte) und all die anderen drängenden Krisen, würden Stabilität benötigen. In Wirklichkeit versucht der massiv unter Druck gekommene, ehemalige „Wunderkanzler“ nichts anders, als auf Teufel komm raus an der Macht zu bleiben: Der Kurz-Vertraute und Außenminister Alexander Schallenberg („ich bin ein türkiser Überzeugungstäter“) wird den Kanzlersessel übernehmen, Kurz bleibt ÖVP-Parteichef und wechselt als Fraktionschef ins Parlament – was ihm prinzipiell politische Immunität garantiert, obwohl noch unklar ist, was das genau für die gegen Kurz laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bedeutet.

    Der grüne Vizekanzler Werner Kogler trat ebenfalls am Samstagabend vor die Presse und kündigte an, das Angebot der ÖVP zu akzeptieren. Stabilität müsse es jetzt geben, und man werde mit Schallenberg als Kanzler weiterregieren, so Koglers Statement zusammengefasst.

    Die Würfel sind fürs Erste gefallen: Sebastian Kurz wird zum Schattenkanzler

    Das ist nichts anders als eine Stillhalte-Kommission, und in der Kanzlerpartei ÖVP gibt man sich auch keinerlei Mühe, das zu verschleiern. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger, ebenfalls engste Kurz-Vertraute, schrieb in sozialen Medien zuerst ganz offen von einem „befristeten“ Rücktritt – nur um ihre Postings gleich darauf wieder zu löschen. Kurz wird damit zum Schattenkanzler. Aus dem Parlament heraus wird er weiter die Fäden ziehen, Korruptionsermittlungen hin oder her, es wird wohl Monate dauern, bis die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgeschlossen sind und es möglicherweise eine Anklage gegen Kurz geben wird.

    Dass die Grünen am kommenden Dienstag einem Misstrauensantrag zustimmen werden, ist mit dieser „österreichischen Lösung“ äußerst unwahrscheinlich. Die Würfel sind fürs Erste gefallen: Das „System Kurz“ bleibt weiter an der Macht, die Konsequenzen sind praktisch nur kosmetischer Natur.

    Moralische Grenzen scheint es für Sebastian Kurz nicht zu geben. Er nimmt ein ganzes Land in Geiselhaft. Die Grünen, unter Verweis auf die Staatsräson, helfen ihm dabei.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden