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Kommentar: Schulz zielt mit Flüchtlingsthema auf Achillesferse der Kanzlerin

Kommentar

Schulz zielt mit Flüchtlingsthema auf Achillesferse der Kanzlerin

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    Der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, hat die Kanzlerin Angela Merkel in einem Interview wegen der Flüchtlingsfrage attackiert.
    Der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, hat die Kanzlerin Angela Merkel in einem Interview wegen der Flüchtlingsfrage attackiert. Foto: Marcus Merk

    Die Rechnung der Kanzlerin, die Flüchtlingskrise aus dem Wahlkampf herauszuhalten und so der rechten Konkurrenz AfD das Wasser abzugraben, scheint nicht länger aufzugehen. SPD-Herausforderer Martin Schulz hat verzweifelt nach einem Thema gesucht, mit dem er Angela Merkel endlich stellen und aus der Reserve locken kann – und die Massenzuwanderung entdeckt. Der Wahlkämpfer Schulz übertreibt, wenn er eine drohende Wiederholung des Chaos von 2015 an die Wand malt – so dramatisch ist die Lage bei weitem nicht.

    Aber erstens hat Europa das Problem nicht mal ansatzweise unter Kontrolle. Und zweitens türmt sich ja in Italien, wo zurzeit täglich tausende Afrikaner ankommen, die nächste, über kurz oder lang auch Deutschland erreichende Migrationswelle auf. Es ist und bleibt ein Thema von eminenter Bedeutung, das die Bürger stark beschäftigt und im demokratischen Wettbewerb der Parteien zur Sprache kommen muss. Es ist also gut, dass Schulz dieses heiße Eisen anfasst – auch auf das Risiko hin, der von diesem Thema beflügelten AfD neuen Auftrieb zu verschaffen.

    SPD ist nicht als Befürworterin schärferer Grenzkontrollen aufgetreten

    Schulz erklärt die Flüchtlingsfrage zum Wahlkampfthema.
    Schulz erklärt die Flüchtlingsfrage zum Wahlkampfthema. Foto: Emilio Morenatti, dpa (Symbolbild)

    Auf einem anderen Blatt steht, ob Schulz die Kanzlerin damit in Bedrängnis bringen kann. Zwar markiert die Politik der offenen Grenzen, die Merkel 2015 zum Entsetzen vieler ihrer Anhänger betrieb, die Achillesferse Merkels – ein Teil der Stammkundschaft trägt ihr den damit verbundenen Kontrollverlust bis heute nach. Die Frage ist nur, inwieweit die SPD auf diesem Feld als glaubwürdige Alternative empfunden wird. Die SPD hat den Kurs der Kanzlerin damals mitgetragen und auch keinen Anstoß daran genommen, dass die Öffnung der Grenzen ohne Absprache mit den anderen EU-Ländern erfolgt ist – im Gegensatz zur CSU, die frühzeitig Einspruch erhob und eine erbitterte Auseinandersetzung mit der Unionsschwester führte. Die SPD ist wahrlich nicht als Befürworterin schärferer Grenzkontrollen, einer strikten Begrenzung der Zuwanderung oder einer forcierten Rückführung abgelehnter Asylbewerber in Erscheinung getreten.

    Insofern wirkt Schulzens laute Klage über die „Passivität“ Merkels sehr taktisch motiviert – ersonnen zu dem Zweck, die Erinnerung an Merkels umstrittene „Willkommenskultur“ lebendig zu halten. Zudem bietet der in den Umfragen abgeschlagene Kanzlerkandidat in der Sache nichts wirklich Neues. Schulz hat recht, wenn er Hilfe für Italien einfordert, auf eine faire Verteilung der Flüchtlinge in Europa pocht und unsolidarischen Ländern mit Konsequenzen droht. Aber könnte ein Kanzler Schulz hier tatsächlich mehr bewirken als Merkel? Und wer glaubt im Ernst, dass mit Quoten das Problem gelöst wäre? Die meisten werden, einmal in Europa angekommen, dorthin streben, wo sie sich die beste Zukunft versprechen – nach Deutschland.

    Europa muss die Migration steuern und begrenzen

    Nein, Europa braucht endlich ein klares Konzept für die Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung – und die Kraft, es gemeinsam umzusetzen. Dazu gehören der Schutz der Außengrenzen (der in Italien nicht stattfindet, was den Schlepperbanden das schmutzige Geschäft erleichtert) und der Aufbau von Transit-Zentren, in denen der Anspruch auf Asyl schon vor der Einreise geprüft wird. Dazu gehört – eine Generationenaufgabe! – die Bekämpfung der Fluchtursache Armut. Dazu gehören auch die Öffnung legaler Zugangswege und, worauf Schulz zu Recht dringt, ein Einwanderungsgesetz, das unterscheidet zwischen asylberechtigten Verfolgten und jenen Menschen, die ein besseres Auskommen und Arbeit suchen.

    Europa darf sich weder abschotten noch kann es jedem Einlass gewähren. Über all dies lohnte es, im Wahlkampf zu diskutieren – mit kühlem Kopf und offenen Karten.

    Lesen Sie hier, wie Schulz die Flüchtlingsfrage zum Wahlkampfthema gemacht hat und wie SPD-Politiker ihm nun zur Seite springen.

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