„Mehr als 100.000 Corona-Tote in Deutschland“ ist eine von den Schlagzeilen, die man lieber nicht gelesen hätte. Die Meldung war angesichts der Impfzurückhaltung hierzulande leider erwartbar, es war nur die Frage, wann sie über die Nachrichtenticker läuft. Als Multiplikator für die Zahl der Neuinfektionen und Todesfälle erweist sich die Zeit zwischen Bundestagswahl und Regierungsbildung. Die alte Regierung funktioniert nicht mehr richtig, CDU und CSU richten sich auf ihre Oppositionsrolle ein, und die neue muss sich erst finden.
Erste Schritte der Ampel-Koalition gegen Corona wenig vielversprechend
Das Virus ist in dieses Entscheidungs-Vakuum hineingestoßen und jetzt geht es darum, dass die Politik verlorenes Terrain schnell wieder zurückerobert und die Deutungshoheit über die Pandemie gewinnt. Die Ampelkoalition hat schon damit begonnen, der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz stellte das Thema bei der Verkündigung des Koalitionsvertrages richtigerweise ganz vorne an, um die Dramatik deutlich zu machen. Die ersten Schritte allerdings sind wenig vielversprechend.
Scholz will im Kampf gegen die Corona-Pandemie jetzt schnellstmöglich einen Bund-Länder-Krisenstab einrichten. Es sei wichtig, tages- und wochenaktuell alle Daten zur Verfügung zu haben und daraus sofort die notwendigen Schlüsse zu ziehen, so die Begründung. Das hört sich zunächst gut an, verlagert sich bei näherem Hinsehen aber in die Kategorie Aktionismus. Denn was Scholz da vorschlägt, und als Vizekanzler wird er es wissen, gibt es alles schon.
Krisenstab existiert seit 2020
Bereits im Frühjahr 2020 setzten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) einen Krisenstab ein. Seine Aufgabe: „Der Krisenstab wird die Bundesressorts und die Länder in seine Arbeit eng einbinden und bitten, Auswirkungen und mögliche Betroffenheit ihrer Bereiche in den Krisenstab einzubringen.“ Der Krisenstab tagt immer noch, und zwar in der Regel jeden Dienstag.
Auf Länderebene gibt es zur Corona-Lage außerdem häufige, manchmal tägliche Schaltkonferenzen zwischen den Staatskanzleien. Es gibt die regelmäßig tagende Gesundheitsministerkonferenz, es gibt das Corona-Kabinett, es gibt die Ministerpräsidentenkonferenz, es gibt Expertengremien wie die Ständige Impfkommission, es gibt Institutionen wie das Robert Koch Institut oder das Paul-Ehrlich-Institut – und es gibt angesichts dieser Vielzahl keinen ersichtlichen Grund für den Vorstoß von Scholz. Zumal auch sein Krisenstab keine Entscheidungsbefugnis hat. Die liegt am Ende immer noch beim Parlament, und da gehört sie auch hin.
Steigende Corona-Zahlen: Kommt der Lockdown?
Scholz will, das ist der naheliegende Verdacht, mit seinem Vorschlag etwas anderes erreichen. Das neue Infektionsschutzgesetz ist gerade in Kraft getreten, am 9. Dezember wollen Bund und Länder sich zusammensetzen und schauen, ob nachgeschärft werden muss. Vor dem Hintergrund der dramatischen Corona-Lage dürfte klar sein, wie die Antwort ausfällt.
Nachdem aber bereits alle zur Verfügung stehenden Mittel, wie etwa die 2G-Regeln, weidlich ausgeschöpft sind, bleibt nur noch ein Weg: Der Lockdown, gegebenenfalls die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Beides hatte Scholz zusammen mit dem Rest der Ampel zuletzt vehement abgelehnt und die Regierung würde bei einem radikalen Kurswechsel gleich zu Beginn als wortbrüchig dastehen. Vermeiden können Scholz und seine Kabinettsmitglieder diesen Eindruck nur, wenn sie andere finden, die der Ampelregierung diese Entscheidung dringend nahelegen und sie praktisch nicht mehr anders entscheiden kann.
Der Scholz‘sche Krisenstab ist also nur an zweiter Stelle dazu da, weitere Auswüchse der Corona-Pandemie einzudämmen. Zunächst einmal soll er die erste politische Krise des neuen Kanzlers und seiner Regierung verhindern.