Wieder hat der Papst die Gelegenheit verpasst, ein Zeichen zu setzen. Zumindest eines des: „Ich habe verstanden!“ Stattdessen hat er ein Ausrufezeichen des „Weiter-so“ gesetzt. Nach dem Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx und nach dem Hamburger Erzbischof Stefan Heße, die ihm beide im grellen Licht des Missbrauchsskandals ihren Amtsverzicht angeboten hatten, belässt er nun also auch noch den wegen seines Umgangs mit Missbrauchsfällen höchst umstrittenen Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki im Amt. Und obendrein die beiden Kölner Weihbischöfe Ansgar Puff und Dominikus Schwaderlapp. Nicht nur für Missbrauchsbetroffene ist dies ein tiefschwarzer Tag.
Im Unterschied zu den Erzbischöfen Marx und Heße hatte Woelki kein Rücktrittsgesuch an Franziskus gerichtet. Auch zeigte er sich wenig einsichtig oder demütig. Beharrlich vertrat er die Auffassung, aller berechtigter Kritik an seinem Handeln zum Trotz, dass eine glaubhafte Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in seinem Erzbistum mit ihm nicht nur möglich ist – nein, dass sie mit ihm auch entscheidend vorankomme.
Woelki ist nicht bereit, "moralische Verantwortung" zu übernehmen - und der Papst ist es auch nicht
Man kann das schon als bemerkenswerte Chuzpe bezeichnen, wie sich hier einer als vertrauenswürdig gerierte, der Vertrauen bei Missbrauchsbetroffenen, Katholiken, selbst hochrangigen Klerikern seines eigenen Erzbistums verspielte. Der zu einer Belastung für die auch aufrichtigen Bemühungen der Kirche wurde, ihren Jahrhundertskandal aufzuarbeiten. Wegen Woelki traten und treten scharenweise Katholiken aus der Kirche aus, weil sie sehen, dass da einer hohle Worte spricht. Dass sich da einer hinter einer Wagenburg aus Anwälten verschanzt. Dass da einer, der mit Moral, mit der Bibel, mit Nächstenliebe und Barmherzigkeit argumentiert, nicht bereit ist, „moralische“ Verantwortung zu übernehmen.
Papst Franziskus hat mit seiner Entscheidung, ihn im Amt zu belassen und ihm lediglich eine „geistliche Auszeit“ zu gewähren, vieles auf spektakuläre Weise schlimmer gemacht. Schon wie er begründete, Heße – dem ein Rechtsgutachten im Unterschied zu Woelki tatsächlich und gleich in mehreren Fällen kirchenrechtliche Pflichtverletzungen attestierte – nicht zurücktreten zu lassen, war fatal. Es war ein Schlag ins Gesicht eines jeden Missbrauchsopfers. Heße habe nicht vertuschen wollen und in Demut Fehler eingestanden, erklärte Franziskus.
Nun geht der Papst noch einen Schritt weiter: Er verklärt Woelki zu einer Art obersten Missbrauchsaufklärer. Woelki arbeite mit Entschlossenheit die Verbrechen des Missbrauchs in der Kirche auf, wende sich den Betroffenen zu und fördere Prävention, liest man in einer Mitteilung. Und man kann die grenzenlose Verzweiflung und Wut von Missbrauchsopfern allenfalls erahnen, die so ein Satz bei ihnen auslösen wird.
Der Papst entschuldigt und bagatellisiert Versagen: Das wird massive Folgen haben
Heßes Versagen entschuldigt und bagatellisiert der Papst mit dem Hinweis auf den „größeren Kontext der Verwaltung“, bei Woelki sieht er Fehler „auf der Ebene der Kommunikation“. Erst war's der Kontext. Jetzt war's die Kommunikation! Das ist eine Scheinheiligkeit, die abstößt.
Wenigstens in einem Punkt erscheint seine Begründung durch und durch ehrlich - und ist selbstentlarvend: Der Heilige Vater, heißt es, „anerkennt seine (Woelkis, die Red.) Treue zum Heiligen Stuhl und seine Sorge um die Einheit der Kirche“. Das ist es: Es geht nicht um Gerechtigkeit für Missbrauchsopfer, es geht nicht um Verantwortungsübernahme, es geht nicht darum, das System strukturell derart zu ändern, dass Fälle psychischer, körperlicher und sexualisierter Gewalt wirklich überzeugend und bestmöglich aufgearbeitet und künftig möglichst verhindert werden.
Es geht in Wahrheit darum, dass der Laden nicht auseinanderfliegt. Doch mit seinen Entscheidungen wird der Papst genau diesen Prozess dramatisch beschleunigen.