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Kommentar: Nach der Wahl liegt vor Thüringen ein steiniger Weg

Kommentar

Nach der Wahl liegt vor Thüringen ein steiniger Weg

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    Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen, und Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke), Staatskanzleichef, kommen zur ersten Kabinettsitzung. 
    Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen, und Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke), Staatskanzleichef, kommen zur ersten Kabinettsitzung.  Foto: Martin Schutt

    „Über allen Gipfeln ist Ruh’“, beginnt Goethes berühmtes Gedicht „Wandrers Nachtlied“. Geschrieben hat er es auf den Höhen des Thüringer Waldes. Die Thüringer Politiker würden den Vers dieser Tage nach vier heftigen Wochen gerne über die Pforte des Landtages schreiben. Nach der Wahl Ramelows zum neuen und alten Ministerpräsidenten machte sich Erleichterung breit.

    Doch sie ist trügerisch, diese Ruhe nach dem Sturm. Denn die Parteien und ihre Anführer sind bis auf wenige Ausnahmen beschädigt. Sie haben aus taktischen Spielchen, Machtversessenheit und mangelnder Weitsicht das Vertrauen vieler Thüringer verspielt. Politik musste sich zu Recht den Vorwurf anhören, nichts weiter als Kasperletheater zu sein. Doch bloß weil Ramelow wieder in die Staatskanzlei eingezogen ist, wird der Schaden nicht wie von Geisterhand verschwinden.

    Wahl in Thüringen: Die Nerven von Ramelow sind dünn geworden

    Die nächsten Monate bieten viele Anlässe dafür, dass die scharfen Auseinandersetzungen anhalten. Schon in der kurzen Rede des Regierungschefs von der Linkspartei nach seiner Wahl offenbarte sich wie in einer Nussschale, dass die Atmosphäre in Thüringen vergiftet ist. Bei Ramelow haben die letzten Wochen Spuren hinterlassen, die tiefe Furchen sind. Seine Familie brauchte Polizeischutz. Der ohnehin eitle 64-Jährige ist dünnhäutig geworden, reagiert oft launisch und unsouverän. Die Zwischenrufe der AfD setzen ihm zu.

    Er ist zwar beliebt im Volk, aber Ärger macht ihm seine Partei. In überraschend aufgetauchten Videos schwadronieren Parteianhänger von der Erschießung des reichsten Prozents der Bevölkerung oder der nötigen Schwächung der parlamentarischen Demokratie. Diese Vorfälle bestätigen genau jene Vorwürfe, die CDU, FDP und AfD gegen die Linke als SED-Erben vorbringen. Die Parteispitze in Berlin geht nicht mit Entschiedenheit gegen diese Wirrköpfe vor.

    Für Ramelow ist das ein Problem, weil es die Zusammenarbeit mit der CDU erschwert, die er für zentrale Projekte wie den Haushalt braucht, weil sein rot-rot-grünes Kabinett keine absolute Mehrheit im Landtag hat. An den Thüringer Christdemokraten zerrt auf der einen Seite die CDU-Führung in Berlin, die eine Kooperation mit der Linken ablehnt, und auf der anderen Seite die AfD. Die Rechtsaußen treiben die Schwarzen mit dem Vorwurf, dem Sozialismus wieder in Amt und Würden zu verhelfen.

    Hat die AfD in Thüringen konservative Wähler verschreckt?

    Die AfD sieht auf den ersten Blick wie der Sieger des Chaosmonats aus. Doch sie trampelte eben auch auf den parlamentarischen Gepflogenheiten herum, was auf konservative Wähler abschreckend wirken könnte. In den Umfragen profitierte sie nur leicht von dem von ihr gestifteten Durcheinander. Aus diesem Grund verzichtete Landeschef Björn Höcke darauf, Thüringen ein zweites Mal ins Wanken zu bringen.

    Die FDP hat sich zwischen Gera und Eisenach völlig unmöglich gemacht und schwebt in großer Gefahr, durch die für April 2021 geplanten Neuwahlen aus dem Parlament befördert zu werden. Bei der Ministerpräsidentenwahl blieben die vier Abgeordneten einfach sitzen und übernahmen keinerlei Verantwortung für das Unheil, das sie angerichtet hatten.

    Das Parteiengefüge bleibt also polarisiert. Einsetzender Wahlkampf bringt regelmäßig eine weitere Zuspitzung, wodurch das Klima in spätestens einem halben Jahr noch rauer wird, als es ohnehin schon ist. Das Regieren wird also für Ramelow anstrengend und nervenraubend. Anderen Bundesländern steht das noch bevor, dem Bund vielleicht auch. Die Vöglein schweigen nicht mehr, wie in Goethes Zeilen. Das politische System verliert schnell an Stabilität.

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