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Kommentar: NSU-Prozess: Zschäpe betreibt Schmierentheater

Kommentar

NSU-Prozess: Zschäpe betreibt Schmierentheater

Holger Sabinsky-Wolf
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    Die Bundesanwaltschaft sieht Zschäpe als Mittäterin und hat lebenslange Haft mit Sicherungsverwahrung gegen sie beantragt.
    Die Bundesanwaltschaft sieht Zschäpe als Mittäterin und hat lebenslange Haft mit Sicherungsverwahrung gegen sie beantragt. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Beate Zschäpe war eine eiskalte Nazibraut. Das zeigt ihre Biografie, das zeigen die Zeugenaussagen, das zeigt die Beweisaufnahme im NSU-Prozess. Sie hat ihre rechtsextremen Kumpanen aktiv unterstützt und ihnen die Tarnung einer bürgerlichen Fassade verschafft.

    Die Geschichte von der verliebten jungen Frau, die 13 Jahre lang das Heimchen am Herd gespielt hat, obwohl sie vom mörderischen Treiben ihrer Lebensgefährten immer wieder schockiert gewesen sei, braucht man ihr nicht zu glauben. Und ihre Last-Minute-Entschuldigung ist nichts weiter als der Versuch, ein mildes Urteil zu erreichen. Er wird scheitern.

    Jeder NSU-Prozesstag kostete 150.000 Euro

    Am kommenden Mittwoch wird Beate Zschäpe sehr wahrscheinlich zu lebenslanger Haft verurteilt. Dann ist der NSU-Prozess nach mehr als fünf Jahren zu Ende. Jeder Prozesstag kostete 150.000 Euro. War es diesen Aufwand wert? Zweifelsohne ja. Es galt, eine monströse rassistische Mordserie aufzuklären, wie es sie in Deutschland nie zuvor gegeben hat.

    Im Zeitraffer: Zentrale Verhandlungstage des NSU-Prozesses

    Es war eine akribische, oft zähe Suche nach der Wahrheit im Münchner NSU-Prozess. Sie dauerte mehr als fünf Jahre und mehr als 430 Verhandlungstage. Die wichtigsten davon im Rückblick:

    6. Mai 2013: Der Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und die vier Mitangeklagten Ralf Wohlleben, André E., Carsten S. und Holger G. beginnt. Am 14. Mai wird die Anklage verlesen.

    4. Juni 2013: Carsten S. beginnt seine Aussage. Er räumt ein, eine Waffe für den «Nationalsozialistischen Untergrund» besorgt zu haben. Zwei Tage später räumt Holger G. ein, dem NSU geholfen zu haben.

    1. Oktober 2013: Der Vater des Mordopfers Ismail Yozgat tritt als Zeuge auf: Er wirft sich auf den Boden, um die Position seines sterbenden Sohns zu beschreiben. Am Tag darauf appelliert dessen Mutter eindringlich an Zschäpe, zur Aufklärung beizutragen.

    16. Januar 2014: Der Polizist Martin A., der beinahe das elfte Todesopfer des NSU geworden wäre, sagt im Prozess als Zeuge aus.

    16. Juli 2014: Das Hickhack um Zschäpes Verteidiger beginnt: Sie gibt an, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre Pflichtverteidiger. Wenig später schmettert das Gericht ihren Antrag auf neue Anwälte ab.

    6. Juli 2015: Der Krach geht weiter - deshalb ordnet das Gericht Zschäpe einen vierten Pflichtverteidiger bei: Mathias Grasel. Ihre Alt-Verteidiger scheitern mit Versuchen, von den Mandaten entbunden zu werden. Einmal zeigt Zschäpe die drei sogar an - erfolglos.

    9. Dezember 2015: Zschäpe äußert sich erstmals vor Gericht: Am 249. Verhandlungstag verliest ihr neuer Anwalt Grasel eine Aussage. Darin räumt sie ein, von den Banküberfällen ihrer Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewusst zu haben. Sie gesteht, die letzte Fluchtwohnung des Trios in Zwickau in Brand gesteckt zu haben. Aber von den Morden und Anschlägen will sie immer erst im Nachhinein erfahren haben.

    16. Dezember 2015: Auch Wohlleben bricht sein Schweigen. Er bestreitet, eine der Mordwaffen, die "Ceska", beschafft zu haben.

    29. September 2016: Nach dreieinhalb Jahren ergreift Zschäpe zum ersten Mal persönlich das Wort - für eine kurze Erklärung: Sie bedauere ihr «Fehlverhalten» und sie verurteile, was ihre Freunde Mundlos und Böhnhardt den Opfern «angetan haben».

    17. Januar 2017: Der Psychiater Henning Saß bescheinigt Zschäpe volle Schuldfähigkeit; sie sei möglicherweise noch immer gefährlich.

    3. Mai 2017: Der von Zschäpes Vertrauensanwälten benannte Gutachter Joachim Bauer attestiert Zschäpe verminderte Schuldfähigkeit. Doch das Gericht lehnt Bauer später wegen befürchteter Parteilichkeit ab.

    25. Juli 2017: Die Bundesanwaltschaft beginnt mit ihrem Plädoyer.

    12. September 2017: Bundesanwalt Herbert Diemer fordert lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung für Zschäpe und teils lange Haftstrafen für die Mitangeklagten. Am 13. September erlässt das Gericht Haftbefehl auch gegen André E.

    15. November 2017: Nach zwei Monaten Stillstand wegen zahlreicher Befangenheitsanträge beginnen die Plädoyers der Nebenkläger - mit Frontalangriffen auf Zschäpe, aber auch auf die Bundesanwaltschaft.

    24. April 2018: Die Verteidiger-Plädoyers beginnen: Zschäpes Vertrauensanwälte weisen den Anklagevorwurf zurück, die heute 43-Jährige sei Mittäterin an den Morden und Anschlägen des NSU gewesen, und fordern am Ende eine Haftstrafe von unter zehn Jahren.

    3. Juli 2018: Zschäpe und drei der vier Mitangeklagten äußern sich in persönlichen Schlussworten. Zschäpe distanziert sich noch einmal von den NSU-Verbrechen. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl kündigt das Urteil für den 11. Juli an.

    11. Juli 2018: Nach mehr als fünf Jahren fällt das Urteil gegen Zschäpe. Sie wird vom Oberlandesgericht München zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihr Verteidiger Wolfgang Heer kündigt an, Revision gegen das Urteil einzulegen...

    ... Die Mitangeklagten bekommen ebenfalls Haftstrafen: Ralf Wohlleben wird als Waffenbeschaffer für den NSU zu zehn Jahren Haft verurteilt. Holger G. zu drei Jahren, André E. zu zwei Jahren und sechs Monaten und Carsten S. zu drei Jahren Jugendstrafe.

    Das ist gelungen, und das ist nicht wenig. Das Gericht hat sorgfältig und souverän gearbeitet. Nicht gelungen ist es aufzuklären, wie es zu dem kompletten staatlichen Organversagen kommen konnte, das die Mordserie möglich gemacht hat. Dieser Makel wird den NSU-Prozess für immer überschatten.

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