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Kommentar: Mord in Idar-Oberstein: Die tödliche Gefahr der Verschwörungstheorien

Kommentar

Mord in Idar-Oberstein: Die tödliche Gefahr der Verschwörungstheorien

Michael Pohl
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    Blumen, Kerzen und Botschaften sind für den Tankstellen-Kassier in Idar-Oberstein niedergelegt worden. Er wurde von einem Mann, der sich geweigert hatte eine Maske zu tragen, erschossen worden.
    Blumen, Kerzen und Botschaften sind für den Tankstellen-Kassier in Idar-Oberstein niedergelegt worden. Er wurde von einem Mann, der sich geweigert hatte eine Maske zu tragen, erschossen worden. Foto: Thomas Frey, dpa

    Der Mord an einem Kassierer einer Tankstelle in Idar-Oberstein erschüttert das ganze Land, weil der junge Student wegen eines Streits um die Maskenpflicht sterben musste. Der geständige Täter gibt an, er habe ein Zeichen gegen die Corona-Politik setzen wollen, die er nicht mehr ausgehalten habe.

    Unabhängig vom noch nicht aufgeklärten Geisteszustand des Festgenommenen erhält die Tat damit eine politische Dimension und wird zum traurigen Höhepunkt der erbitterten Auseinandersetzungen um die Corona-Politik. Angesichts der tödlichen Gewalt stellt der Mord damit die verheerenden Bilder des versuchten Sturms auf den Reichstag vor einem Jahr am Rande einer "Querdenken"-Demonstration in den Schatten.

    Dennoch sollten die Ermittlungen im Mord von Idar-Oberstein abgewartet werden, bevor voreilige Schlüsse gezogen werden und noch mehr Gift in die Corona-Debatte gelangt.

    Querdenker wurden von Rechtsextremisten unterwandert

    Auch wenn die Argumente der Querdenker in aller Regel verdreht und falsch sind, die Bilder ihrer Demonstrationen verstören und es in Teilen gefährliche Überschneidungen mit Rechtsextremisten gibt, so ist es dennoch nicht hilfreich, deren Anhängerinnen und Anhänger pauschal in Worten zu kriminalisieren. Es war auch nicht richtig, sie in einer oft fehlgeleiteten Debatte an den Rand der Gesellschaft zu drängen, statt sich mit ihnen inhaltlich auseinanderzusetzen.

    Ein großer Teil der Demonstranten ging mit dem Ruf nach Freiheit und gegen staatliche Willkür auf die Straße, was in der Bundesrepublik vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte alles andere als eine Schande ist. Schändlich allerdings ist, dass diese Bewegung es nicht geschafft hat, eine klare Trennlinie gegen Antidemokraten zu ziehen und dass sich die Querdenker und ihre Mitläufer nie wirkungsvoll gegen die Unterwanderung durch Rechtsextremisten gewehrt haben.

    Stattdessen übernahm und bediente die Querdenken-Bewegung teils naiv, teils aber auch bewusst bösartig antisemitische Klischees. Aus all diesen Gründen werden die Querdenker völlig richtigerweise vom Verfassungsschutz beobachtet – und nicht etwa, weil sie Kritik an der Regierungspolitik äußern.

    Nach Mord in Idar-Oberstein: Beifall auf Telegram

    Auch nach der Tat von Idar-Oberstein gibt es aus rechtsextremistischen Kreisen widerwärtigen Beifall für den Mord. "Gut so" oder "Kein Mitleid" wird etwa in "Telegram"-Gruppen geteilt. Ziel der Rechtsextremisten – wie fast aller Fanatiker – ist es, die Gesellschaft zu spalten, um den Nährboden ihrer gefährlichen Ideologien zu verbreitern.

    Deshalb ist es wichtig, in der öffentlichen Debatte nicht in diese gezielt aufgestellte Falle zu tappen: Alle sollten sich deshalb davor hüten, auch wenn sie deren Meinungen ablehnen, Corona-Kritiker pauschal zu kriminalisieren oder ihnen pauschal eine gewalttätige Radikalisierung zu unterstellen.

    Politik und Gesellschaft müssen Verschwörungstheorien bekämpfen

    Wichtiger ist es, angesichts des sinnlosen Mordes darüber nachzudenken, wie Spaltungen in der Gesellschaft wieder überwunden werden können. Vor allem aber auch sollte der Mord eine Mahnung sein, dass Politik und Gesellschaft konsequenter und wirkungsvoller gegen die ebenso tödliche wie Demokratie zersetzende Gefahr von Verschwörungstheorien vorgehen müssen.

    Denn leider werden die Plattformen zur Verbreitung dieses Gifts, insbesondere die großen Anbieter sozialer Medien, ihrer Verantwortung bis heute nicht gerecht. Im Gegenteil, viele verdienen ihr Geld besonders gut damit, dass Inhalte, die spalterische Tendenzen egal aus welcher politischen Richtung vorantreiben, im Internet besonders gut geklickt werden.

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