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Kommentar: Mit den Taliban verhandeln? Welche Grenzen sich der Westen setzen sollte

Kommentar

Mit den Taliban verhandeln? Welche Grenzen sich der Westen setzen sollte

Simon Kaminski
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    Dürre, Armut und Flüchtlingsbewegungen innerhalb des Landes: Experten warnen davor, dass den Land eine humanitäre Katastrophe drohen könnte.
    Dürre, Armut und Flüchtlingsbewegungen innerhalb des Landes: Experten warnen davor, dass den Land eine humanitäre Katastrophe drohen könnte. Foto: Mohammad Jawad, dpa

    Gespräche mit Terroristen? Das wird von Politikern oft mit Empörung in der Stimme zurückgewiesen. Dabei gab und gibt es immer wieder Situationen, in denen tatsächlich mit Terror-Gruppen oder Diktaturen gesprochen wurde und wird – zumeist hinter den Kulissen. Natürlich gab es Geheimverhandlungen zwischen der britischen Regierung und der IRA während des blutigen Irland-Konfliktes, natürlich unterhält Israel verdeckte Kommunikationskanäle mit der Hamas – ganz offen traf sich US-Präsident Donald Trump mit dem nordkoreanischen Despoten Kim Jong-Un.

    Das Dilemma bleibt im Grundsatz immer das Gleiche: Darf man mit jemanden reden, der persönlich oder als Repräsentant für schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich ist? Werden die Gesprächspartner diplomatisch, also mittelbar auch moralisch aufgewertet? Besonders kompliziert wird es, wenn eine extreme Gruppe, nach einem militärischen Sieg die Macht in einem Staat übernimmt.

    Afghanistan steuert auf eine extreme humanitäre Notlage zu

    So wie jetzt die Taliban. Darüber, was besprochen werden darf mit den Islamisten ist in Deutschland ein heftiger Disput entbrannt. Denn die Dringlichkeit, Kontakt zu halten, ist enorm. Aus zwei Gründen: Afghanistan steuert auf eine extreme humanitäre Notlage zu. Das Land kämpft mit einer verheerenden Dürre, große Teile der Hilfe aus dem Ausland – sie machte rund 80 Prozent des Staatshaushaltes aus – sind versiegt, Guthaben eingefroren. Die in weiten Teilen sehr arme Bevölkerung ist von Krankheiten und Hunger bedroht .

    Der Westen verhandelt schon lange mit den Taliban: Das Bild zeigt den US-Sondergesandten für Afghanistan, Zalmay Khalilzad, und den Taliban-Vertreter Mullah Abdul Ghani Baradar im Februar 2020 bei der Unterzeichnung des  Abkommens über Wege zum Frieden.
    Der Westen verhandelt schon lange mit den Taliban: Das Bild zeigt den US-Sondergesandten für Afghanistan, Zalmay Khalilzad, und den Taliban-Vertreter Mullah Abdul Ghani Baradar im Februar 2020 bei der Unterzeichnung des Abkommens über Wege zum Frieden. Foto: Hussein Sayed, AP, dpa

    Punkt zwei: Die Länder, die bis vor kurzem Teil der Nato-Mission waren, bangen um eigene Staatsbürger sowie einheimische Helfer und Mitarbeiter ihrer Streitkräfte oder Hilfsorganisationen, die die Rache der Sieger fürchten. Die Taliban haben zugesagt, diese Leute ausreisen zu lassen. Gleichzeitig verfügen sie über ein enormes Erpressungspotenzial. Es geht um zigtausende Männer, Frauen und Kinder. Die nächsten Monate werden zeigen, ob sich das neue Regime an sein Versprechen hält oder schlicht wie ein Geiselnehmer auftritt. Nach der Logik: Menschen für Geld.

    Andererseits sind die Taliban auf Unterstützung von außen angewiesen. Wenn es ihnen nach dem sich abzeichnenden vollständigen militärischen Sieg nicht gelingt, das Land wirtschaftlich und gesellschaftlich zu stabilisieren, könnte ihre Macht ins Wanken geraten. Das ist ein Hebel für den Westen, humanitäre Zugeständnisse zu erreichen. Allerdings wird dieser Hebel kürzer, wenn China, aber auch Russland, sunnitisch dominierte Staaten oder der Iran Afghanistan massiv unterstützen.

    Mit den Taliban zu sprechen, ist alternativlos

    Was folgt aus dieser Konstellation? Mit den Taliban auch weiterhin zu verhandeln, ist alternativlos. Seit Wochen bemühen sich Delegationen westlicher Staaten in Doha darum, die Evakuierung Schutzbedürftiger voranzutreiben

    Die Taliban haben sich verändert, seitdem sie nach ihrer fünfjährigen Terror-Herrschaft im Jahr 2001 durch ausländische Truppen vertrieben wurden – unabhängig davon, dass die Frage noch nicht beantwortet ist, ob sie der Gesellschaft, den Frauen oder ethnisch und religiösen Minderheiten ihren Steinzeit-Islamismus genauso brutal wie Mitte der 90er Jahre aufzwingen werden. Neu ist, dass ihre politischen Anführer nach internationaler Anerkennung als rechtmäßige und verlässliche Machthaber trachten. Sollte man diesem Verlangen jetzt nachgeben, um Zugeständnisse zu erreichen? Das ist äußerst riskant. Denn die Taliban könnten ihren Schafspelz schnell wieder abstreifen, wenn sie dieses Ziel erreicht haben.

    Junge Kämpfer pochen auf eine strenge Auslegung der Scharia

    Zumal schon jetzt viele jüngere militärische Anführer ungeduldig verlangen, dass die Scharia so streng ausgelegt wird wie vor 25 Jahren. Deswegen ist es ein Fehler des glücklosen deutsche Außenministers Heiko Maas, jetzt Entwicklungshilfeprojekte oder Stabilisierungsmaßnahmen in Aussicht zu stellen. So gibt der Westen seine spärlichen Trümpfe zu früh aus der Hand.

    Die Taliban nutzen so etwas gnadenlos aus, wie das Abkommen von Doha gezeigt hat, das die damalige US-Regierung unter Präsident Donald Trump direkt mit den Taliban ohne Beteiligung der Regierung in Kabul ausgehandelt hat – es fehlten Sicherheiten und Kontrollmöglichkeiten. Damit legten die USA die Macht quasi in die Hände der Islamisten.

    Es geht nicht darum, schnell eine diplomatische Vertretung zu öffnen

    Jetzt geht es nicht darum, möglichst schnell wieder eine diplomatische Vertretung Deutschlands in Kabul zu installieren. Es geht um Hilfe für die notleidende Bevölkerung. Es geht um die Ausreise von Ortskräften und exponierten Afghanen wie Journalisten oder demokratischen Aktivisten. Alles weitere, also jede politische oder wirtschaftliche Kooperation, sollte international abgestimmt an konkrete Bedingungen geknüpft werden. Schwere Menschenrechtsverstöße, die Missachtung der Rechte von Frauen oder Minderheiten, die Duldung von Terrorgruppen, die von Afghanistan aus reagieren – das sind Gründe, um punktuelle Zusammenarbeit sofort wieder zu stoppen.

    Diese Linie muss der afghanischen Regierung, die jetzt Konturen annimmt, unmissverständlich klar gemacht werden.

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