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Kommentar: Mit Rechten reden – das ist alternativlos

Kommentar

Mit Rechten reden – das ist alternativlos

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    Es gilt zu diskutieren, weshalb sich viele Menschen von der Merkel-Union abgewandt haben.
    Es gilt zu diskutieren, weshalb sich viele Menschen von der Merkel-Union abgewandt haben. Foto: Michael Kappeler, dpa (Symbol)

    Gerade hat Cem Özdemir rotgesehen. Der Grünen-Politiker stand am Rednerpult im Bundestag, es ging um die Türkei, um den Journalisten Deniz Yücel und wie übel Politiker der „Alternative für Deutschland“ (AfD) diesen beschimpft hatten. Özdemir wütete und haderte, er nannte die AfD-Vertreter „Rassisten“.

    Es war eine Freude, ihm zuzuhören, so fanden viele Deutsche. Im Netz machte Özdemirs Rede die Runde, oft lautete der Kommentar, genauso müsse man sie anpacken, diese Lumpen von der AfD, dazu gäbe es keine Alternative.

    Aber stimmt das? Sosehr sich die aufrechten AfD-Gegner bestärkt sahen, so gestärkt könnten die Alternativen aus diesem Schlagabtausch hervorgehen. Seht her, werden sie sagen, so geht man mit uns um, man schreit uns an, man beschimpft uns, sogar im Bundestag. Die Inszenierung als Opfer ist das erfolgreichste Geschäftsmodell der AfD. Wer sich gewaltig im Recht fühlt wie Özdemir, kann also durchaus gewaltig Rechten helfen.

    Wie Minister mit den Populisten umzugehen haben, hat nun sogar das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Es entschied gestern, ein Mitglied der Bundesregierung dürfe nicht einfach eine „Rote Karte“ gegen die AfD verhängen. Vielmehr müssten Minister – wenn sie sich in amtlicher Funktion äußern – selbst im hitzigsten Streit Neutralität wahren, statt Diffamierung mit Diffamierung zu vergelten.

    Im Meinungs-Spiel kann es keine "Rote Karte" geben

    Die Entscheidung ist selbstverständlich richtig, weil sie Selbstverständliches betont: In einer Demokratie muss es nicht nur die Freiheit der Andersdenkenden geben – sondern auch die Bereitschaft der Mächtigen, mit den weniger Mächtigen zu diskutieren. „Rote Karte“, das ist das Spielende. In einer Demokratie darf das Spiel der Meinungen aber nie aufhören.

    Natürlich gibt es Themen, die unsere Gerichte völlig zu Recht als ausdiskutiert ansehen, den Holocaust etwa – oder die demokratische Verfasstheit unseres Staatswesens, verewigt in der Ewigkeitsklausel des Grundgesetzes. Aber es gilt durchaus zu diskutieren, warum sich rund eine Million Menschen abgewandt haben von der Merkel-Union, welche Themen sie umtreiben und wie sie politisch ansprechbar blieben – und nicht rechts außen Platzverweise auszusprechen.

    Die Kanzlerin hat diesen Diskurs verweigert, als die Flüchtlingskrise noch weit weg war und die AfD eine ganz andere Partei, ein Professoren-Klub der Euro-Skeptiker. Im Wahlkampf 2013 ignorierte Merkel den damaligen AfD-Chef Bernd Lucke. Ähnlich klammerten sich viele in der Union an das Mantra, rechts von ihnen sei politisch ja kein Platz. Ergebnis des großen Schweigens war, dass sich die AfD immer wieder neu erfinden konnte, etwa als politischer Gewinner der

    Populisten entlarven sich meist selbst

    Nun lassen sich ihre Vertreter nicht mehr ignorieren, sie sitzen im Bundestag, bald wohl als größte Oppositionspartei. Sie gilt es dort zu stellen, nicht herablassend, nicht unverschämt, worauf diese ja nur warten, siehe oben. Wird die Debatte mit ihnen unappetitlich, etwa wenn die AfD dem Journalisten Yücel neben dem Deutschsein auch die Journalistenehre absprechen will, muss Demokratie dies aushalten.

    Das Gute an Populisten ist, dass sie sich meist selbst entlarven. In Frankreich konnte Marine Le Pen in einer TV-Debatte kaum erklären, warum sie an die Macht will, also wandten sich viele Franzosen ab. In Österreich warf der Ultra-Rechtsausleger Norbert Hofer im Präsidentschaftswahlkampf seinem Rivalen so oft „Lüge“ vor, dass es vielen Österreichern mit ihm reichte.

    Nur: Damit sich Rechte selbst widersprechen, muss man mit ihnen sprechen. Traut Angela Merkel sich das, wäre dies wohl effektiver als jede Kabinettsumbildung.

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