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Kommentar: Missbrauchs-Studie: Höchste Zeit für Reformen

Kommentar

Missbrauchs-Studie: Höchste Zeit für Reformen

Daniel Wirsching
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    Eine groß angelegte Missbrauchs-Studie im Auftrag der deutschen Bischöfe schockt gerade Kirche wie Öffentlichkeit. Sie wird am Dienstag in Fulda vorgestellt.
    Eine groß angelegte Missbrauchs-Studie im Auftrag der deutschen Bischöfe schockt gerade Kirche wie Öffentlichkeit. Sie wird am Dienstag in Fulda vorgestellt. Foto: Felix Kästle, dpa

    Sollten die deutschen Bischöfe gehofft haben, sie könnten mit der von ihnen in Auftrag gegebenen und finanzierten Studie dem Skandal um Misshandlungen und Missbrauch innerhalb der katholischen Kirche die Spitze nehmen, war das ein krasser Fehlschluss. Zu schockierend sind die Zahlen der Forscher, zu monströs das jahrzehntelange Verschulden und Versagen einer "moralischen Institution". In der Kirche wurde Nächstenliebe gepredigt – und zugleich Täter in den eigenen Reihen geschützt und Opfern die Glaubwürdigkeit abgesprochen.

    Es wurde geschwiegen, es wurde vertuscht, es wurde kleingeredet und auf andere gezeigt: Gibt es Missbrauch nicht auch in Familien, Vereinen, Schulen? Sicher – "aber in der Kirche ist er dreimal so schlimm. Er verwundet das Opfer; er macht die Kirche als Zufluchtsort unmöglich; er zerstört Gottvertrauen". Das sagte kürzlich der neue Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer. Eine Erkenntnis, die sich in der katholischen Kirche noch immer nicht flächendeckend durchgesetzt hat.

    Zumindest daran vermag vielleicht die Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" nun etwas zu ändern. Sie kann in wie außerhalb der Kirche weiter für das Thema sensibilisieren – und endlich mit allerlei fatalen Behauptungen aufräumen. Bei den Missbrauchsfällen handelt es sich eben nicht um "Einzelfälle". Oder: Betroffene gehen eben nicht an die Öffentlichkeit, um "der Kirche zu schaden". Sondern unter anderem, weil es Jahrzehnte dauern kann, um über das Erlebte zu sprechen – und weil oft der Frust über den Umgang der Kirche mit ihnen tief sitzt.

    Missbrauchs-Studie ist ein begrüßenswerter Beitrag

    Es ist vielen Opfern zu verdanken, dass Fälle überhaupt bekannt wurden – und dass der auch mediale Druck auf die Kirche aufrechterhalten werden konnte, die Skandale einzugestehen und aufzuarbeiten.

    Die Studie ist zunächst einmal ein begrüßenswerter Beitrag. Aber ihr großes Manko besteht darin, dass die Bischöfe die Aufarbeitung in wesentlichen Punkten kontrollierten: Die Forscher hatten etwa keinen direkten Zugang zu den Akten, die sie auswerteten. Zweifel an der tatsächlichen Aufklärungsbereitschaft der katholischen Kirche in Deutschland sind da berechtigt.

    Sie hat seit Bekanntwerden hunderter Missbrauchsfälle von 2010 an hierzulande durchaus Bemerkenswertes in Sachen Prävention und Aufarbeitung geleistet – vor allem im Falle der Regensburger Domspatzen –, das aber nicht allerorten. Jetzt gibt die Studie erstmals Hinweise auf das gesamte Ausmaß des Missbrauchsskandals. Sie muss Ausgangs- und nicht Endpunkt kirchlicher Bemühungen um echte Transparenz sein. Doch das genügt bei Weitem nicht. In den vergangenen Tagen haben mehrere Bischöfe in ungewöhnlich deutlichen Worten ihre Beschämung eingestanden und Opfer öffentlich um Vergebung gebeten. Nun ist es an den Kirchenverantwortlichen, zu handeln.

    Nach wie vor machen sich Geistliche des Missbrauchs schuldig

    Ein erster Schritt wäre es, sich einer wirklich unabhängigen Nachfolge-Untersuchung nicht zu verschließen; ein zweiter, auch Misshandlungs- und Missbrauchsfälle in sämtlichen Orden und deren Einrichtungen umfassend erforschen zu lassen. Und zwar nicht von der Täter-Institution selbst. Vor allem müssen die Bischöfe Antworten auf Fragen finden, die die Studie aufwirft. Warum wurden mehr zölibatär lebende Diözesanpriester zu Tätern als Diakone, die verheiratet sein dürfen? Wie lassen sich die Vertuscher zur Rechenschaft ziehen?

    Schließlich: Welche Strukturen begünstigen Missbrauch? Auf diese Frage gibt es bereits seit Langem Antworten – von Wissenschaftlern wie von hochrangigen Geistlichen. Sie blieben bislang allerdings ohne spürbare Folgen. So streben teils junge Männer in den Priesterberuf, die emotional oder sexuell unreif sind. Sie werden dann Teil eines Männerbundes, in dem Gehorsam und strenge Hierarchien herrschen. Hinzu kommt ein verdruckster Umgang mit den Themen (Homo-)Sexualität, Einsamkeit, Alkoholmissbrauch oder Überforderung bei Geistlichen.

    In einem dritten Schritt muss die katholische Kirche Priesteramtsanwärter besser auf die Ehelosigkeit vorbereiten oder am besten gleich den Zölibat freistellen. Sie muss offener und positiver über Sexualität sprechen und ihr Verhältnis zu Homosexualität klären. Und sie muss etwas gegen Klerikalismus unternehmen, was sich beispielsweise durch eine stärkere Stellung engagierter Laien und Frauen in der Kirche erreichen lässt. Es ist höchste Zeit für strukturelle Reformen. Denn nach wie vor machen sich Geistliche des Missbrauchs schuldig.

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