Wenn die Schlacht geschlagen ist, beginnt der Kampf. Der Gewinner oder die Gewinnerin des Machtkampfs bei Union und Grünen werden sich fünf Monate lang aufreiben, um bei der Wahl am 26. September das Kanzleramt zu erobern. Wahlkampf heißt das und es ist kein Spaß. Es ist eine Tortur. Barack Obama beschreibt sie in seiner Autobiografie als nicht enden wollende Darmspiegelung. In dieser Zeit können die Kanzlerkandidaten nichts weniger gebrauchen, als Sticheleien und Seitenhiebe aus den eigenen Reihen.
Martin Schulz von der SPD bekam das 2017 zu spüren, als seine Kampagne nicht mehr vom Fleck kam und der als "St. Martin, der Erlöser" Gestartete dauernd das Grummeln und die Zweifel von Sigmar Gabriel in den Zeitungen lesen konnte. Nichts stößt Wähler mehr ab als parteiinterner Streit. Auch Markus Söder und Armin Laschet, genau wie Annalena Baerbock und Robert Habeck, müssen fürchten, dass die Verlierer ihnen das Leben schwer machen.
Die Wahrscheinlichkeit ist aber bei den beiden Unionsmännern ungleich höher. Denn selbst wenn es Laschet gelingt, die Attacke des bayerischen Ministerpräsidenten abzuwehren, muss er diesen dazu bringen, sich zurückzunehmen. Bei Menschen, die mit einem Ego von Söder gesegnet oder geschlagen sind, grenzte das an ein kleines Wunder. Blieben Laschets Umfragewerte dann auch noch schwach, könnte er sich nie vor Söders Rache sicher fühlen.
Söders Ego ist in der zweiten Reihe kaum vorstellbar
Im umgekehrten Fall müsste Laschet seine mutwillige Demontage durch Söder herunterschlucken und sich in den Dienst der Sache stellen. Leichter könnte ihm das fallen, wenn der CSU-Chef ihm ein Superministerium anbietet, das mit viel Macht ausgestattet ist. Aber ob das reichen würde, die beigebrachte Kränkung zu heilen, lässt sich nicht voraussagen. Der persönliche Charakter Laschets macht es zumindest wahrscheinlicher, als wenn Söder sich mit der Rolle als zweite Geige abfinden müsste. Wer will in dieser Konstellation schon die erste Geige spielen?
Die Union muss schon heute in jedem Fall mit der Hypothek leben, dass der Wahlkampf durch Störmanöver aus dem eigenen Lager beschädigt zu werden droht.
Die Grünen-Spitze neigt weniger zum "friendly fire"
Bei den Grünen ist die Gefahr eines Schmutzelei-Szenario deutlich geringer. Das liegt daran, dass die Partei sehr früh das Verfahren zur Kür des K-Kanidaten festgelegt und ohne Zwischenfälle durchgehalten hat. Robert Habeck und Annalena Baerbock machen es unter sich aus. Im denkbar kleinsten Hinterzimmer, das nur Platz für zwei Menschen bietet. Die Disziplin, mit der beide sich diesem Prozess unterworfen haben, nötigt den anderen Parteien Respekt ab. Schon allein dadurch erhält der Sieger (oder die Siegerin) des stillen Duells im Stile einer Schachpartie Legitimation. Dass es Baerbock oder Habeck als Unterlegene dem anderen heimzahlen wollen, dafür besteht wenig Grund zur Annahme.
Denn beide werden von den Wählern mittlerweile als gleich stark eingeschätzt. Baerbock hat an Format gewonnen. Wenn er der Meisterdenker ist, gilt sie als Organisationstalent. Weder für sie noch für ihn besteht nach der Personalentscheidung die Notwendigkeit, durch eine öffentliche Demonstration der Stärke den eigenen Stand zu erhöhen.
"Der Beweis von Heldentum liegt nicht im Gewinnen einer Schlacht, sondern im Ertragen einer Niederlage", hat der britische Staatsmann David Lloyd George gesagt. Die größten Feinde dieses so verstandenen Mutes sind Eitelkeit und Rachegefühle. Beide sind starke Emotionen. Wer sie im Zaum zu halten vermag, hat beste Chancen, bei der Wahl erfolgreich zu sein.
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