Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Kommentar: Kuscht Merkel vor Erdogan? Das ist die Frage im Fall Böhmermann

Kommentar

Kuscht Merkel vor Erdogan? Das ist die Frage im Fall Böhmermann

    • |
    Jan Böhmermann in seiner Show «Neo Magazin Royale».
    Jan Böhmermann in seiner Show «Neo Magazin Royale». Foto: Ben Knabe/ZDF (dpa)

    Die Fangemeinde Jan Böhmermanns redet den Moderator der ZDF-Satireshow „Neo Magazin Royale“ zum Helden der Meinungsfreiheit hoch, der den türkischen Präsidenten genialisch als Despoten entlarvt und der Kanzlerin ein Bekenntnis zu Grundwerten unserer Verfassung abringt.

    Es klingt, als ob die Freiheit der Deutschen im „Neo Magazin Royale“ verteidigt werde. Nun ja, machen wir es eine Nummer kleiner: Der Mann hat Talent und ein Gespür dafür, wonach sein leicht entflammbares, Politik als irgendwie witzige Veranstaltung begreifendes Publikum verlangt. Er beherrscht die Provokation und hat mit seinem Schmähgedicht einen echten Coup gelandet. Ganz Deutschland diskutiert über ihn, Erdogan fordert Vergeltung, die Bundesregierung ist in Not.

    Aus dem Schmähgedicht wurde eine Staatsaffäre

    Aus dem Streit um eine üble Sottise („pervers, verlaust und zoophil – Recep Fritzl Priklopil“) ist eine Staatsaffäre geworden. Wobei es nicht so sehr um die Vermessung der Grenzen von Satire, sondern – und das macht den Fall politisch brisant – um den Flüchtlingsdeal mit der Türkei und um die Frage geht, ob die auf die Hilfe Erdogans angewiesene Kanzlerin überhaupt noch freie Hand hat im Umgang mit dem zum EU-Grenzwächter bestellten, keineswegs lupenreinen Demokraten Erdogan.

    Merkels Plan, die Flüchtlingszahlen drastisch zu reduzieren, steht oder fällt ja mit der Bereitschaft der Türkei, der EU und den Deutschen das harte Geschäft der Grenzsicherung und Abweisung von Flüchtlingen abzunehmen. Erdogan lässt sich diese Dienste gut bezahlen und erwartet offenbar, dass Berlin nun nach seiner Pfeife tanzt und weitere Gegenleistungen erbringt. Merkel ist dem Autokraten vom Bosporus bei den Verhandlungen erstaunlich weit entgegengekommen.

    Den Verdacht, sie kusche fortan aus schierer Not und um ihres politischen Überlebens willen vor Erdogan, hat sie sich selbst eingebrockt. Es war ein schwerer Fehler, das primitive Geschreibsel gegenüber dem türkischen Regierungschef als „bewusst verletzend“ zu bewerten und den Eindruck zu erwecken, die Bundesregierung nehme es in diesem Fall mit der Meinungs- und Kunstfreiheit nicht so genau. Der vorauseilende Versuch einer Besänftigung Ankaras ist misslungen.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich in eine Zwickmühle manövriert

    Die Türkei und Erdogan persönlich, in dessen Neo-Sultanat demokratische Grundrechte missachtet werden, dringen auf Strafverfolgung – wozu die Bundesregierung laut uraltem Gesetz ihre „Ermächtigung“ erteilen muss. Merkel hat sich in eine Zwickmühle manövriert. Macht sie den Weg für ein Strafverfahren frei, wird es heißen, sie opfere die Meinungsfreiheit für das moralisch sowieso fragwürdige Flüchtlingsabkommen. Lehnt sie das Gesuch ab und brüskiert den beleidigten Erdogan, riskiert sie das Funktionieren des Abkommens.

    So oder so geht sie als Verliererin aus diesem Gerangel hervor – auch dann, wenn sie sich im zweiten Anlauf hinter Böhmermann stellt, Artikel 5 des Grundgesetzes für „nicht verhandelbar“ erklärt und Ankara eine Abfuhr erteilt.

    Richter, nicht Politiker haben den Fall zu entscheiden

    Vor Gericht landet der Fall sowieso, und dort gehört er auch hin. Richter und nicht Politiker haben in einem Rechtsstaat zu entscheiden, ob es sich bei diesem „Gedicht“ um Kunst oder um eine die Grenzen freier Meinungsäußerung überschreitende Satire handelt. Satire darf nicht „alles“. Jedem steht, ohne Ansehen der Person, der Schutz seiner Ehre zu.

    Die Freiheit von Meinung und Kunst, die bei deutschen Gerichten in guten Händen ist, erlaubt auch Unsägliches. Sie findet nur dort ihre Grenzen, wo sie vorrangig der Diffamierung eines Menschen dient. Ob diese Grenze im Fall Böhmermann überschritten wurde, muss womöglich sogar das Verfassungsgericht klären.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden