Wiederholt hatte das Erzbistum Köln beteuert, eine von Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki selbst beauftragte unabhängige Missbrauchsstudie veröffentlichen zu wollen. Namen von Verantwortlichen sollten genannt werden, Woelki soll nach Informationen des Kölner Stadt-Anzeiger sogar seinen Verbleib im Amt an das Ergebnis des Gutachtens gebunden haben. Zu nichts davon kommt es nun - und das ist ein Skandal.
Wieder einmal zeigt sich darin das Versagen der katholischen Kirche, die Missbrauchsfälle in den eigenen Reihen aufzuklären. Und zur Aufklärung gehört zwingend auch die Benennung von Verantwortlichkeiten und Verantwortlichen. Wie soll sich sonst etwas ändern?
Doch genau daran, an dieser Benennung, mangelt es fast elf Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals immer noch. Es mangelt zudem an der Bereitschaft Kirchenverantwortlicher wirklich Verantwortung zu übernehmen - für Mitwisserschaft, für Unterlassen oder Schlimmeres wie Vertuschung oder mehr. Stattdessen hörte man in den vergangenen Jahren gerade von Bischöfen wortreiche Bitten um Entschuldigung, Worte der Scham - aber Worte wie: "Auch ich habe mich persönlich schuldig gemacht und bin meiner Verantwortung nicht gerecht geworden, deswegen trete ich zurück" - so etwas war nicht zu hören.
Was bleibt: ein großes Versagen im Missbrauchsskandal und eine weitere Verschleppung der Aufklärung
Für Opfer, viele von ihnen bereits in hohem Alter, war das stets ein Schlag ins Gesicht. Sie haben ein Recht darauf zu erfahren, wer mitverantwortlich war für ihr lebenslanges Leid.
Erstmals hätte es in dem bereits fertigen Kölner Gutachten, das die renommierte Münchner Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl nach Akteneinsicht und weiteren Recherchen erstellte, prominente Kirchenvertreter - nun ja - getroffen. Bis hin zum früheren Kölner Kardinal Meisner und eben Woelki. Öffentlich bekannt waren Vorwürfe aus dem Gutachten geworden, die sich gegen den heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße richteten. Er soll als Personalverantwortlicher unter anderem einen Fall vertuscht haben.
Heße hat die Vorwürfe vehement zurückgewiesen. Im Gutachten kam er überaus schlecht weg. Er - und nicht nur er - war es denn auch, der juristisch gegen die Veröffentlichung der Missbrauchsstudie vorging. Aus persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Gründen. Es sind die Totschlagargumente, wenn es darum geht, derartige Gutachten zu verhindern. Die Münchner Kanzlei hatte im Jahr 2010 für das Erzbistum München bereits eine Missbrauchsstudie verfasst, die bis heute unter Verschluss ist. Immerhin wurde sie mit einer neuen beauftragt, und auch das Erzbistum München und Freising gab an, Namen nennen zu wollen. Für das Bistum Aachen ist die Kanzlei ebenfalls tätig, eine Veröffentlichung ihrer Studie dort ist in Kürze zu erwarten.
Missbrauchsstudie unter Verschluss: Der Eindruck drängt sich auf, dass hier hochrangige Kirchenmänner geschützt werden sollen
Die Münchner Kanzlei wurde in Kirchenkreisen bislang geschätzt, begründete Zweifel an ihrer Arbeitsweise und ihrer Unabhängigkeit gab es bislang nicht. Und so drängt sich der Verdacht auf, dass im Falle Kölns in letzter Minute verhindert werden sollte, dass hochrangige Kirchenmänner beschädigt werden würden. Erinnerungen an eine andere Studie kommen da unweigerlich auf - die ebenfalls hart umkämpfte und schließlich verhinderte "Pfeiffer"-Studie. Der Kriminologe hätte bundesweit den Missbrauchsskandal untersuchen sollen. Später sollte dies, wenn auch vom Forschungsdesign her anders, durch die Veröffentlichung der "MHG"-Studie geschehen. Sie wurde 2018 der Öffentlichkeit vorgestellt und brachte Erschütterndes zutage. Verantwortliche durften in ihr nicht genannt werden.
Aus Sicht des Erzbistums Köln klingt die jetzige Entscheidung freilich anders. Man wolle eine "vollständige Neufassung der Untersuchung" veröffentlichen, die ab sofort der Kölner Strafrechtsexperte Björn Gercke verantworte. Dies sei mit dem Betroffenenbeirat des Erzbistums am Donnerstag persönlich beraten und einvernehmlich entschieden worden. Die Studie der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl erfülle die Anforderungen nicht. "Die Münchener Kanzlei ist wiederholt an ihrem Versprechen und am Anspruch der Betroffenen sowie des Erzbistums gescheitert, eine umfassende Aufarbeitung der Ereignisse und persönlichen Verantwortlichkeiten in Form eines rechtssicheren und belastbaren Gutachtens zu erreichen und einen zur Veröffentlichung geeigneten Bericht zu erstellen", teilte das Erzbistum am Freitag mit. Ob die schweren Vorwürfe stimmen, kann niemand beurteilen, der das Gutachten nicht im Wortlaut kennt.
Was bleibt: ein großes Versagen, eine weitere Verschleppung, eine weitere Nicht-Aufklärung. Und das auf dem Rücken der Opfer, auf dem "gutachterliche Fechtereien inszeniert" werden, wie es der renommierte katholische Kirchenrechler Thomas Schüller sagte.
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