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Kommentar: Ist Deniz Yücel ein "antideutscher Hassprediger"?

Kommentar

Ist Deniz Yücel ein "antideutscher Hassprediger"?

Michael Stifter
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    Der Journalist Deniz Yücel saß ein Jahr lang in türkischer Haft.
    Der Journalist Deniz Yücel saß ein Jahr lang in türkischer Haft. Foto: Can Erok/DHA-Depo Photos/AP/dpa

    Über Deniz Yücel kann man sich streiten. Viele seiner Texte zielen sogar darauf ab, dass die Leser sich aufregen. Dass sie diskutieren. Seit der Journalist nach einem Jahr Haft aus einem Gefängnis in Istanbul entlassen wurde, gibt es einen neuen Streit um ihn – losgetreten von der AfD, die Yücel „extremen Deutschland- und Deutschenhass“ vorwirft. Fraktionschefin Alice Weidel kommentierte Medienberichte über seine Freilassung ebenso kurz wie merkwürdig: „Fakenews: Yücel ist weder Journalist noch Deutscher.“ Das ist Unsinn. Erstens wurde der Mann in der hessischen Provinz geboren und hat nicht nur einen türkischen, sondern auch einen deutschen Pass. Zweitens arbeitet er seit vielen Jahren als Redakteur und Korrespondent für verschiedene Medien.

    Die Rechtspopulisten wollten sogar den Bundestag dazu bringen, Artikel des Journalisten offiziell zu missbilligen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki nannte diesen Antrag in der hitzigen Parlamentsdebatte am Donnerstagabend „intellektuell erbärmlich“, der Grünen-Politiker Cem Özdemir erklärte den Kollegen von der AfD sicherheitshalber: „In der Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Gleichschaltung, von der Sie nachts träumen, bei uns gibt es Pressefreiheit.“

    Grund für den Zorn der AfD ist eine Kolumne aus dem Jahr 2011

    Der Antrag scheiterte klar. Nicht einmal alle AfD-Abgeordneten stimmten dafür. Doch die Vorwürfe gegen Yücel bleiben. Was steckt also dahinter? Anlass für die Wut auf den Autor sind Artikel, die er in der Tageszeitung taz veröffentlicht hat. In einer Kolumne bezog er sich 2011 auf das umstrittene Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin.

    Sein Text beginnt so: „Endlich! Super! Wunderbar! Was im vergangenen Jahr noch als Gerücht die Runde machte, ist nun wissenschaftlich (so mit Zahlen und Daten) und amtlich (so mit Stempel und Siegel) erwiesen: Deutschland schafft sich ab!“ Es folgt eine überspitzte und polemische Abrechnung mit seinem Geburtsland, in der Sätze fallen wie dieser: „Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite.“

    Satire oder nicht? Auf jeden Fall eine schwere Provokation

    AfD-Fraktionschefin Alice Weidel bestreitet, dass Yücel Deutscher ist.
    AfD-Fraktionschefin Alice Weidel bestreitet, dass Yücel Deutscher ist. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Yücels Gegner werfen ihm Geschmacklosigkeit und Grenzüberschreitung vor. Andere weisen darauf hin, dass die Kolumne ganz offensichtlich als Satire gedacht war. Beide haben recht. Ohne Zweifel hat es der Autor mit seiner Lust an der Provokation übertrieben. Allerdings lässt sich durchaus erkennen, dass seine Worte nicht ganz so ernst gemeint waren.

    Es ist nicht das einzige Mal, dass Yücel sich im Ton vergriffen hat. Ihn deshalb pauschal als „antideutschen Hassprediger“ zu bezeichnen, ist trotzdem falsch. Die AfD tut damit genau das, was sie anderen so gerne vorwirft: Sie reißt Passagen aus Yücels Texten aus dem Zusammenhang, um ihn damit in Misskredit zu bringen. Dazu passt, dass die Partei das Gerücht verbreitet hat, der Reporter sei auf Kosten des Steuerzahlers aus der Türkei ausgeflogen worden. In Wahrheit hat Die Welt – also Yücels Arbeitgeber – das Flugzeug gechartert. Auch die Behauptung, der 44-Jährige sei bevorzugt behandelt worden, geht ins Leere. Deutsche Politiker haben mit allen diplomatischen Mitteln für seine Freiheit gekämpft. Aber das haben sie eben auch für die Ulmer Journalistin Mesale Tolu und den Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner getan, die ebenfalls in der Türkei hinter Gittern saßen.

    Die Bundesregierung hat sich eben nicht nur für Yücel eingesetzt

    Die Stimmungsmache gegen Yücel geht inzwischen so weit, dass sogar die Frage im Raum steht, warum sich Deutschland überhaupt „für so einen“ eingesetzt hat. Spätestens hier ist der Punkt erreicht, an dem es keine zwei Meinungen mehr geben kann. Wenn ein deutscher Staatsbürger im Ausland weggesperrt wird, nur weil er dort die Regierung kritisiert hat, kann und darf die Bundesregierung das nicht hinnehmen. Erst recht dann nicht, wenn er ein Jahr in Untersuchungshaft sitzt, ohne je zu erfahren, was ihm vorgeworfen wird. Hier geht es um Menschenrechte, um freie Meinungsäußerung, um Gerechtigkeit. Dabei darf es keine Rolle spielen, ob Yücel irgendwann einmal Artikel geschrieben hat, die man mit guten Gründen als abstoßend empfinden kann.

    Auch die AfD scheint langsam zur Besinnung zu kommen. Zumindest offiziell begrüßte ihre Bundestagsfraktion in ihrem Antrag die „Freilassung von Deniz Yücel aus politischer Willkürhaft“. Ihr Ziel haben die Populisten aber ja schon erreicht: Eine völlig überhitzte Debatte um einen unliebsamen deutschen Journalisten. Ja, Frau Weidel: Yücel ist Journalist. Und er ist Deutscher.

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