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Kommentar: In der Stunde des Brexits muss Europa Mut zeigen

Kommentar

In der Stunde des Brexits muss Europa Mut zeigen

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    Jahrelang wurde darauf hingearbeitet, nun trennen sich die Wege der EU und Großbritanniens.
    Jahrelang wurde darauf hingearbeitet, nun trennen sich die Wege der EU und Großbritanniens. Foto: Kirsty Wigglesworth

    Dies ist er also, der Brexit-Tag. Die Fahne des Vereinigten Königreiches wird in der Nacht von Freitag auf Samstag in Brüssel eingeholt. Zweifellos ein historischer Moment, aber keiner, den man gerne in Erinnerung behält. Die Tränen und die spürbare Wehmut sind dennoch etwas Persönliches. Sie beziehen sich vor allem auf gewachsene Freundschaften und langjährige Arbeitskontakte. Die britischen Parlamentarier und Diplomaten müssen Brüssel verlassen, weil die Mehrheit des eigenen Volkes es so wollte.

    Niemand wird den Bewohnern des Vereinigten Königreiches jetzt wünschen, dass sie in eine Phase tiefer Depression verfallen, wenn Träume platzen und Visionen nicht zustande kommen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die EU-Vertreter von der Insel Europa aufgehalten, ausgebremst und manchmal blockiert haben. Das betrifft nicht nur den britischen Ober-Brexiteer Nigel Farage.

    Brexit: Großbritannien ist ab sofort ein Konkurrent

    Die EU muss nach vorne sehen und hoffentlich mit der gleichen Konsequenz die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen führen, mit der Premierminister Boris Johnson bereits wesentliche Teile des Brexit-Vertrages außer Kraft gesetzt hat. Das Tor zu einer verlängerten Übergangsphase, um ein gutes Abkommen zu erreichen, hat er zugeworfen, dem Parlament die Mitsprache über den Vertrag mit der

    Ab Samstag ist Großbritannien kein Familienmitglied mehr, sondern ein Konkurrent. Das klingt hart, ist aber Realität. Johnson will alle möglichen Standards loswerden, die Gemeinschaft möchte genau diese weiterentwickeln, ihre Wirtschaft für eine klimaneutrale Zukunft fit machen. Das muss Europas Chance sein. Die Briten werden erleben, welches Zukunftskonzept aufgeht und mehr ökonomische Sicherheit und ökologisches Potenzial hat. Das Volk dürfte seine Regierung zur Verantwortung ziehen, wenn Versprochenes nicht eintritt – und das wird es nicht. Die EU hat in den vergangenen Jahren, in denen sie mit den Briten um eine gemeinsame Zukunft gerungen hat, hoffentlich viel gelernt. Die nunmehr 27 Mitgliedstaaten wissen, was Zusammenhalt bedeutet und welches Gewicht man damit im scharfen Wind des Wettbewerbs und auf der politischen Weltbühne in die Waagschale werfen kann.

    Europa muss wieder begeistern

    Wenn sie für diese EU werben wollen, kennen sie das Rezept: Erfolg. In der Stunde des Abschieds muss ein Aufbruch her. Denn Brüssel muss ansteckend sein. Neben einem Klima-Deal werden eine Industrie- und eine Digital-Strategie gebraucht. Neben Verbraucher-Standards sind soziale Spielregeln für den Markt nötig. Dabei dürfen die, die die Fahne der EU vorneweg tragen, ihre Mitglieder nicht überfordern. Ein Kohle-Ausstieg mag politisch wünschenswert und ökologisch unumgänglich sein. Trotzdem muss man die Länder mitnehmen, die sich noch so gar nicht vorstellen können, wie sie diesen klimapolitischen Evolutionsschritt meistern sollen. Das ist nur ein Beispiel für die Tatsache, dass der Ehrgeiz und die Visionen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron mit der Zurückhaltung unter anderem der polnischen Regierung zusammengebracht werden müssen.

    Brexit und jetzt: Was sich nach dem 1. Februar ändert

    Was ändert sich am 1. Februar im Alltag?

    Nichts, sagt die EU-Kommission. Denn unmittelbar nach dem Austritt beginnt eine Übergangsphase bis 31. Dezember.

    „Bis zu diesem Zeitpunkt ergeben sich für die Bürgerinnen und Bürger, Verbraucher, Unternehmen, Investoren, Studenten und Forscher in der EU und im Vereinigten Königreich keine Änderungen“, versichert die Brüsseler Behörde.

    Man kann reisen wie bisher, ohne Roaming-Gebühren beim Handy. Man kann ohne Sorge Waren von britischen Webseiten bestellen. Oder wie bisher mit EU-Stipendien in Großbritannien studieren.

    Was ändert sich für Großbritannien?

    Übergangsphase heißt: Großbritannien ist zwar raus und offiziell Drittstaat, hält sich aber bis Jahresende an alle EU-Regeln und zahlt in den EU-Haushalt ein.

    Alle EU-Programme laufen in Großbritannien weiter. Nur darf das Land in Brüssel nicht mehr mitreden.

    Es hat keine Vertretung mehr in der EU-Kommission, bei Ministerräten, bei EU-Gipfeln oder im EU-Parlament. Dort verlieren am 1. Februar 73 britische Abgeordnete ihr Mandat.

    27 freiwerdende Sitze gehen an Nachrücker aus 14 EU-Staaten, die bisher gemessen an der Bevölkerung zu schwach vertreten waren. 46 Sitze werden in einer Reserve geparkt.

    Was ist schon vertraglich geregelt?

    Im Austrittsvertrag ist die wichtigste Vereinbarung die für eine offene Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland.

    So ist festgelegt, dass in Nordirland in jedem Fall für die nächsten Jahre einige Regeln des EU-Binnenmarkts und besondere Zollregeln gelten.

    Im Übrigen klärt der Vertrag, wie viel Großbritannien noch für offene Rechnungen an die EU zahlen muss.

    Es gibt diverse Übergangsregeln. Und abgemacht ist auch: Parmaschinken, bayerisches Bier und andere regionale Esswaren bleiben in Großbritannien geschützt – ebenso wie „walisisches Lamm“ und vieles mehr in der EU.

    Auf dem Weg in die Zukunft darf die Union niemanden verlieren, aber auch nicht länger auf der Stelle treten. Wenn die EU– und damit sind die Politiker und Beamten ebenso gemeint wie die Abgeordneten und Staats- und Regierungschefs gemeint – wirklich die bessere Alternative zum britischen Weg sein will, kann sie das jetzt zeigen. Denn die Bremser sind nun raus.

    Lesen Sie dazu auch: Großbritannien verlässt die EU: Was bedeutet der Brexit jetzt konkret?

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