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Kommentar: Gutachten zum Missbrauchsskandal: Kein Befreiungsschlag für Woelki

Kommentar

Gutachten zum Missbrauchsskandal: Kein Befreiungsschlag für Woelki

Daniel Wirsching
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    Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, nach einer Pressekonferenz zur Vorstellung eines Gutachtens zum Umgang des Erzbistums Köln mit sexuellem Missbrauch.
    Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln, nach einer Pressekonferenz zur Vorstellung eines Gutachtens zum Umgang des Erzbistums Köln mit sexuellem Missbrauch. Foto: Ina Fassbender, dpa

    Kaum ein Tag ist zuletzt vergangen ohne neue Enthüllungen über das himmelschreiende Versagen der katholischen Kirche im Umgang mit Missbrauchsfällen. Und der Kölner Kardinal Woelki ist dabei nur einer von vielen, die versagt haben, etwa weil sie ihrer seelsorglichen Verantwortung nicht gerecht wurden. Weil sie Opfer nicht ernst genug nahmen, sie hinhielten oder gar instrumentalisierten. Wie Woelki.

    Dieser sah in der Veröffentlichung des „Gercke-Gutachtens“ am 18. März einen Befreiungsschlag. Aber was soll das für ein Befreiungsschlag sein – außer, dass bei ihm persönlich keine „Pflichtverletzung“ festzustellen gewesen sei?

    Missbrauchsskandal in Köln: Die Erkenntnisse der Gutachter sind eher dürftig

    Nein, das „Gercke-Gutachten“ hat das an Ergebnissen erbracht, was es auftragsgemäß erbringen konnte. Der Kölner Strafrechtler Björn Gercke wies gleich mehrfach darauf hin, dass man ein rein juristisches Gutachten erstellt habe, nur auf Aktengrundlage tätig werden konnte und dass die Akten erhebliche Mängel aufwiesen. Geprüft wurde daraufhin vor allem, was zum jeweiligen Zeitpunkt kirchenrechtlich geboten war. Und das war angesichts der Schwere der Fälle sträflich wenig. Das Kirchenrecht schützte Täter, bei Zuständigkeiten herrschte Intransparenz. Was dazu beitrug, dass Konsequenzen für klerikale Missbrauchstäter nach weltlichem Strafrecht ausblieben.

    Gerckes Handlungsempfehlungen waren also: Es solle künftig eine verbindliche Aktenführung und eine Vereinheitlichung der Rechtsanwendung geben. Ach ja: Und das Erzbistum Köln solle auf eine Fortentwicklung des Kirchenrechts in Rom hinwirken.

    Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Gutachtens zum Umgang des Erzbistums Köln mit sexuellem Missbrauch.
    Kardinal Rainer Maria Woelki, Erzbischof von Köln bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Gutachtens zum Umgang des Erzbistums Köln mit sexuellem Missbrauch. Foto: Ina Fassbender, dpa

    Das ist für ein Missbrauchsgutachten im Jahr 2021 dürftig. Andere Gutachten und Studien haben bereits tiefer gehende Erkenntnisse erbracht. Woelki aber kann sich nun dahinter zurückziehen. Ein Bild-Journalist sprach bereits von einem „Persilschein“. Und Woelkis Verteidiger können sich bestärkt in ihrer Meinung fühlen, dass hier gegen einen missliebigen Kardinal eine Hetzkampagne veranstaltet worden sei.

    Dass der öffentliche Fokus in den vergangenen Monaten auf dem amtierenden Kölner Erzbischof lag, war naheliegend und angebracht. Er steht schließlich aktuell in der Verantwortung und zurecht in der Kritik wegen seines Umgangs mit der Missbrauchsaufarbeitung. Hinter seiner Person aber tut sich ein Abgrund auf, den das Gercke-Gutachten zumindest etwas ausleuchtet. Gercke sprach von „systembedingter Vertuschung“. Von 75 „Pflichtverletzungen“ bei acht noch lebenden oder verstorbenen hochrangigen Verantwortungsträgern.

    Eine Ikone der Kirche als Vertuscher: Kardinal Meisner machte sich laut Gutachten diverser Pflichtverletzungen schuldig

    Allein elf dieser Pflichtverletzungen betreffen den heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Der hatte Vorwürfe stets bestritten und einen Rücktritt abgelehnt. Ihm wie den anderen namentlich Genannten werden Pflichtverletzungen aus insgesamt fünf Bereichen vorgeworfen: von der nicht erfolgten Meldung nach Rom über fehlende Sanktionierung bis hin zu mangelnder Opferfürsorge.

    Nichts war gut im Erzbistum Köln, wo sich erst 2015 (!) mit Gründung einer Interventionsstelle etwas geändert habe. Was soll das für ein Befreiungsschlag sein?

    Woelki selbst sagte: „Nichts geahnt, das ist seit heute nicht mehr möglich.“ Es war eine Anspielung auf seinen 2017 gestorbenen Vorgänger Joachim Kardinal Meisner, einer Ikone katholisch-konservativer Gläubiger. Als der 2015 in einem Interview gefragt wurde, was er dachte, als er 2010 vom flächendeckenden Missbrauch in der katholischen Kirche erfahren habe, antwortete er, er habe an eine Verleumdungskampagne gedacht. Ob er etwas geahnt habe? „Nichts geahnt, nichts geahnt!“ Meisner, der über Jahrzehnte die katholische Kirche prägte, ist der Lüge überführt. Von 75 eindeutig festgestellten und zuordenbaren Pflichtverletzungen entfallen laut Gutachten 24 auf ihn.

    In einer ersten Reaktion entband Woelki dann unmittelbar nach Vorstellung des Gutachtens Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und den Leiter seines Kirchengerichts, Günter Assenmacher, „mit sofortiger Wirkung“ von ihren Aufgaben. Das hätte er deutlich früher tun können.

    Hehre Worte von Bischöfen genügen nicht mehr. Jetzt zählt allein, was sie für die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals tun

    Und darum geht es jetzt: um Taten. Um große Worte waren katholische Bischöfe in jüngster Zeit schließlich nicht verlegen. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, sprach in einem Fernsehgottesdienst von einem „jahrzehntelangen institutionell vertuschten Missbrauch“ von Kindern in der katholischen Kirche. „Jetzt ist die Zeit für Ehrlichkeit und Entschiedenheit im Umgang mit dieser dunklen, bis heute wirksamen Vergangenheit.“

    Jetzt ist die Zeit? Nein, Entschiedenheit hätte es seit vielen, vielen Jahren bedurft. Das zeigt das Beispiel Köln. Und Ehrlichkeit? Die wäre im Falle der Kirche eigentlich selbstverständlich gewesen.

    Bundesweit herrschen große Lücken bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen

    Die katholische Kirche hat in den vergangenen Jahren viel getan, um Missbrauchsfälle aufzuarbeiten und künftig zu verhindern. Aber sie hat es häufig lediglich auf öffentlichen Druck hin und nicht konsequent genug getan. Noch immer wird sexueller Missbrauch im Kirchenrecht nicht so behandelt wie er behandelt werden müsste. Noch immer herrschen bundesweit große Lücken bei der Aufarbeitung, noch immer bleiben zu viele Fragen offen. Es besteht ein Wirrwarr an Gutachten und Studien unterschiedlichster Herangehensweisen und Qualität. Und selbst bei den „Unabhängigen Aufarbeitungskommissionen“, die jetzt in den Bistümern eingesetzt werden, besteht ein Restzweifel an deren Unabhängigkeit – weil Kirchenmitarbeiter zu ihren Mitgliedern gehören.

    Und: Noch immer hat es die Kirche weitgehend selbst in der Hand, was und wie aufgearbeitet wird. Sie gewährt Akteneinsicht und stellt Akten zur Verfügung, sie beauftragt Gutachter, sie entscheidet über die Veröffentlichung von Gutachten, sie behält sich ein Stück weit die Deutungshoheit vor.

    Es wird noch lange keinen Schlussstrich geben können

    Wer auch immer in der Kirche auf einen Schlussstrich hoffen mag – ihn kann und wird es noch lange nicht geben. Die katholische Kirche, von der evangelischen ganz zu schweigen, steht elf Jahre nach Beginn des Missbrauchsskandals in Deutschland immer noch an einem Anfang. Und der Verweis auf andere Organisationen, Verbände oder Vereine macht hier nichts besser.

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