Angela Merkel, die sich jeden politischen Karrieretraum erfüllt hat, hatte einen letzten Traum. Sie wollte selbstbestimmt aus dem höchsten Regierungsamt scheiden, und zwar auf keinen Fall wie ein "halbtotes Wrack". Schließlich musste Merkel einst hautnah miterleben, wie erst Helmut Kohl sich und seine Partei in eine letzte absehbare Wahlniederlage stürzte - und später Gerhard Schröder sich am Wahlabend um Kopf, Kragen und Kanzleramt polterte.
Dieser Traum ist für Frau Merkel nun geplatzt. Zerplatzen ließ ihn: Angela Merkel. Ihr ist zerronnen, was vor gerade einmal 14 Monaten als ungeheurer Coup wirkte: Die Macht an ihre auserkorene Nachfolgerin zu übergeben und so – schöner Nebeneffekt – jene Männerbünde noch einmal in die Schranken zu weisen, die Merkel vom Anfang ihrer Karriere an belauert hatten.
Zerplatzt ist dieser Traum, natürlich, auch an Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie war einfach nicht bereit für die ganz große Bühne. Eine Vergangenheit als gewiefte Parteistrategin in Saarbrücken bereitet nicht zwangsläufig darauf vor, mit einem Schlag vor der ganzen Welt als potentiell mächtigste Frau dieser Welt zu gelten. Gewiss, auch Merkel war zu Anfang ihrer Karriere keineswegs die selbstsichere Weltkanzlerin. Aber sie machte schlicht weniger Fehler, sie lernte schneller, und sie hatte mehr Zeit dafür.
Vor allem aber hatte sie nicht die eine große Gegenspielerin, der AKK letztlich nicht gewachsen war. Eben jene Kanzlerin, die sie selbst aufs Schild gehoben hatte. Mit jedem Tag in der neuen Konstellation wurde klarer, wie unmöglich die AKK-Mission war – die CDU zu erneuern, ohne eine Kanzlerin zu brüskieren, die längst nicht mehr vorrangig auf ihre eigene Partei, sondern auf ihr eigenes Vermächtnis (und, ja, auch ihre eigenen Popularitätswerte) schaute.
Angela Merkel stand Annegret Kramp-Karrenbauer immer wieder im Weg
Vielleicht hatte Merkel ursprünglich geplant, früher abzutreten und AKK schneller aufs Schild zu heben. Eventuell war es sogar beinahe mütterliche Fürsorge, die sie bleiben ließ, um Annegret Kramp-Karrenbauer mehr Zeit zur Profilierung zu lassen. Was auch immer die Motivlage war, die reale Lage sah ernüchternd aus: Merkel stand AKK immer wieder im Weg. Ob es um die Aufarbeitung der Flüchtlingspolitik ging, den möglichen Umbau des Bundeskabinetts (mitsamt der Einbindung von parteiinternen Störenfrieden wie Friedrich Merz), oder schließlich um die Machtfrage in Thüringen, wo Merkel per Kanzlerinnendonner aus Südafrika jede Verhandlungslösung für AKK vereitelte.
Diese Schuld wird Merkel nicht los. Es mag sein, dass sie überzeugt war, AKK hätte sich wie einst sie selbst durchbeißen müssen. Aber sie hätte in den vergangenen Monaten erkennen müssen, dass nur noch ihr früherer Abgang das Projekt "geordnete Machtübergabe" hätte retten können. Dazu nicht bereit zu sein, kann man nur Egoismus der Macht nennen.
Natürlich sieht Merkels Lager das anders. Es argumentiert so: Nicht die politische Ausrichtung der Nachfolgekandidatin war falsch, sondern deren persönliche Fehler. In dieser ungewissen Zeit wären ein Merkel-Rücktritt und Neuwahlen ein unkalkulierbares Risiko. Außerdem argumentieren Merkels Leute, die Union stünde trotz geringerer Werte machtstrategisch immer noch am besten da.
Armin Laschet hat in der CDU bessere Chancen als Friedrich Merz
All diese Argumente sind nicht völlig falsch. Der versöhnliche Kandidat Armin Laschet hat etwa in der Partei bessere Chancen als der polarisierende Friedrich Merz. Und in der Tat kann an der CDU vorbei niemand Kanzler werden, ihre Lage ist mit der SPD nicht vergleichbar.
Aber wahr bleibt auch: Ohne Merkels Abgang wird die CDU keine vernünftige Nachfolge an der Parteispitze hinbekommen. Jeder neue Mann (und es wird wohl ein Mann werden) würde in derselben Klemme stecken wie AKK. Also schuldet Merkel ihrer Partei jenen Schritt, den sie einst als Generalsekretärin von Helmut Kohl verlangt hatte. Dem schrieb sie legendär in der FAZ ins Gewissen, es sei vielleicht wirklich zu viel verlangt, von heute auf morgen alle Ämter niederzulegen und den Jüngeren das Feld zu überlassen. Aber, so Merkel damals weiter: "Die Partei muss also laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft ohne ihr altes Schlachtross wie Helmut Kohl sich selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen."
So einen Brief müsste jemand in der CDU nun an Merkel schreiben, so schwer der Abschied von einer immer noch populären Kanzlerin fällt. Doch schließlich hat Merkel zur Begründung ihrer letzten Kandidatur erklärt, sie habe sich diese nicht leicht gemacht, „weder für das Land, noch für die Partei – noch – ich sage es ganz bewusst in dieser Reihenfolge – für mich persönlich.“ Sie schuldet eine Entscheidung nun dem Land, ihrer Partei – und sich selbst.
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