Ursula von der Leyen hat Wort gehalten. Mit geradezu unglaublichem Tempo packt die neue EU-Kommissionspräsidentin den versprochenen Umbau Europas an. „Green Deal“ heißt ihr Projekt,das Europa zum Klimavorbild machen soll. Noch ist es nur eine Absichtserklärung – doch die war nötig, um ihre Entschlossenheit zu demonstrieren. Und doch bleibt dies zugleich das größte Manko dieses Paketes. Denn es besteht bislang nur aus Überschriften und Wegweisern. So kann die EU zeigen, dass sie die auf Klimaschutz gepolten Bürger ernst nimmt, ohne bereits konkret werden zu müssen.
Aber genau darin liegt die Herausforderung. Ein Beispiel: Deutschland hat dreistellige Milliardenbeträge aufgewendet, um jährlich 180 Terrawattstunden Strom aus Sonne und Wind zu produzieren. Nur: Allein die chemische Industrie beziffert ihren Jahresbedarf auf 600 Terrawattstunden aus regenerativen Quellen. Das muss erreicht werden, wenn Deutschland und Europa klimaneutral werden sollen. Man kann das als Herausforderung oder als Chance sehen – oder als unmöglich. Zumindest zeigt schon dieses Beispiel, dass ein Fahrplan eben noch längst kein Konzept ist.
"Green Deal": Viele Vorhaben liegen längst in der Schublade
Dabei müsste die Gemeinschaft nicht einmal überall Neuland betreten. Es gäbe viele Möglichkeiten, Energie effizienter zu nutzen und den CO2-Ausstoß spürbar zu senken, wenn längst beschlossene Maßnahmen umgesetzt würden. Experten nennen beispielsweise den Luftverkehr. Wenn der sogenannte „Single Sky“, also das Lenken und Überwachen der Jets durch zentralisierte Kontrollen, eingeführt würde, könnten ökologisch unverantwortliche Umwege und lange Flüge innerhalb Europas überflüssig sein. Das Einsparpotenzial wird auf mindestens zehn Prozent geschätzt. Doch die Mitgliedstaaten blockieren.
Schon werden Rufe im Europäischen Parlament laut, vor einer radikalen grünen Wende erst einmal die bereits vereinbarten Maßnahmen umzusetzen. Denn es ist keine Strategie, mit immer schärferen Grenzwerten zu argumentieren, wenn diese anschließend nicht erreicht werden.
Ohne Veränderung wird es keinen Wohlstand mehr geben
Ursula von der Leyen und ihre Kommission brauchen für ihren Plan alle – vom Premierminister bis zum Bürger. Aber vor allem wird sie die großen Klimasünder dieser Welt auf ihre Seite ziehen müssen. Denn um der nächsten Generation eine Erde zu übergeben, die ökologisch nicht kollabiert ist, braucht die EU Nachahmer. Die Brüssler Spitze muss eines klarmachen: Ein grünes Europa ist kein Rückfall, sondern ein Fortschritt. Industrie, Verkehr, Leben, Wohnen und Reisen zukunftsfähig zu machen, wird der Schlüssel dafür, dass es künftig überhaupt noch Wohlstand gibt. Das sollte Europa schaffen – nicht weil es einfach ist, sondern weil es sonst schwierig wird.
Die Zukunft gehört den Visionären
Die Staats- und Regierungschefs, die am Donnerstag über diesen Plan für die Zukunft diskutieren, brauchen deshalb nicht nur viel Mut und sehr viel Ehrgeiz, um sich darauf einzulassen. Sie müssen auch verstehen, dass der Green Deal ein nachhaltiger Weg ist, die Union wettbewerbsfähig zu halten. Dass einzelne Mitglieder dabei mehr Unterstützung brauchen als andere, stimmt. Die Kommission hat dazu Vorschläge gemacht, die über die Zusage von milliardenschweren Krediten hinausgehen. Selbst wenn es beim EU-Gipfel heute Abend noch keine genauen Finanzzusagen geben kann, müsste eigentlich jeder Staats- und Regierungschef erkennen, welche Chancen selbst der noch nicht ausformulierte Deal für sein Land bedeutet. Und dass die Zukunft nicht den Zauderern, sondern den Visionären gehört. Das gilt auch – oder ganz besonders – für Deutschland.
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