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Kommentar: Europa belügt sich im Handelsstreit selbst

Kommentar

Europa belügt sich im Handelsstreit selbst

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    Der Streit mit US-Präsident Trump zeigt die Schwäche der EU.
    Der Streit mit US-Präsident Trump zeigt die Schwäche der EU. Foto: Jim Watson, AFP

    Die Reflexe sind stets die gleichen. Wie nach dem Brexit-Votum stimmt Europa auch im Handelskrach mit den USA das Hohelied von der Geschlossenheit der Gemeinschaft an. Tatsächlich jedoch ärgert die EU am Vorgehen des amerikanischen Präsidenten vor allem eines – nämlich, dass er ihre Brüchigkeit und Abhängigkeit schamlos entlarvt.

    Das Bild, das die Europäische Union dem Rest der Welt im Moment bietet, ist alles andere als schmeichelhaft: Ein Mitglied hat gekündigt, Italien hat am Freitag eine strikt antieuropäische Regierung installiert, in Spanien musste der Premierminister am gleichen Tag EU-kritischen Kräften Platz machen, gegen Polen läuft ein bislang beispielloses Verfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit – und in Budapest macht Regierungschef Viktor Orbán, was er will. Hauptsache, er kann gegen Brüssel polemisieren.

    Angela Merkel bremst Emmanuel Macron aus, wo immer es geht

    Zu einer ehrlichen Gesamtbilanz gehören zwar auch die neuen, konstruktiven Töne, die Europas neuer Schutzpatron Emmanuel Macron anschlägt – aber eben auch eine Bundeskanzlerin, die den französischen Präsidenten ausbremst, wo immer es geht. Die europäischen Gipfeltreffen enden zwar in der Regel in gespielter Harmonie und angeblicher Einigkeit. Doch sobald die 28 Teilnehmer den Runden Tisch verlassen haben, hagelt es wieder Misstöne. Kurt Tucholskys bitterböser Satz scheint wahr zu sein: Zwischenstaatlich organisiert sind in Europa nur das Verbrechen und der Kapitalismus.

    Die Union ist zerrieben zwischen Russland, China und den USA, den Schwergewichten der internationalen Politik. Europa gestaltet nicht, es reagiert. Es soll doch niemand so tun, als sei Donald Trump der Einzige, der die EU nach Belieben dirigiert. Der nächste Akt dieses Schauspiels wird schon in der kommenden Woche folgen, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der sieben großen Industrienationen in Kanada zum G7-Gipfel treffen. Diese Veranstaltung wird ein Schaulaufen für den amerikanischen Präsidenten, der den Europäern zwar zuhört, aber am Ende doch macht, was er will. Zwar hat man nach den ersten Brüskierungen Antworten gefunden, die Gemeinsamkeit demonstrieren sollen – allen voran die Europäische Verteidigungsunion. Herausgekommen aber sind dabei bisher nur eine Art Genossenschaft zum gemeinsamen Einkauf von wehrtechnischen Gütern und ein paar neue Logistikzentren. Gleichzeitig schlingert die Eurozone vor sich hin, weil nach der Griechenland-Rettung nun Italien irrwitzige Gedanken von der Rückkehr zur Lira durchspielt. Außenpolitisch agiert in der EU mit Federica Mogherini eine Hohe Beauftragte, die zwar allseits geschätzt wird, die aber nicht im Namen aller sprechen darf.

    Eine Melange aus Kleingeist und Nationalismus

    Wer von Verantwortung spricht, muss sie auch übernehmen – in Sicherheitsfragen, in der Wirtschaft, bei sozialen Standards, in der Umwelt- und in der Außenpolitik. Die Abschaffung von Roaminggebühren oder die Reduzierung der Luftbelastung in den Städten mögen wichtig sein. Aber mit solchen Themen schafft EU-Europa weder ein europäisches Bewusstsein noch eine größere geopolitische Bedeutung.

    Eine Melange aus Kleingeist und Nationalismus beherrscht die Union und nicht die gemeinsame Überzeugung, dass es für jedes einzelne Land unverzichtbar ist, sich zusammenzuraufen. Die EU funktioniert nicht als Gesellschaft mit beschränkter Haftung, sondern nur als Modell gemeinsamer Verantwortung. Auch die Bremsmanöver der Bundeskanzlerin schaden der Gemeinschaft, weil Deutschland zu groß ist, um seinen Gestaltungsanspruch aus den Händen zu geben. Das Projekt Europa ist zu wichtig, um es schleifen zu lassen.

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