In diesen Tagen, da die Große Koalition wieder auf der Intensivstation liegt, muss man an einen Umstand erinnern: Angela Merkel ist zu ihrer vierten Amtszeit als Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland nicht zwangsverpflichtet worden. Sie hat sich beworben.
Sie hat 2016 dafür sogar ganz konkrete Gründe angeführt. In Zeiten des Populismus sei eine weitere Kandidatur alles andere als trivial, gab sie zu bedenken – "weder für das Land, noch für die Partei, noch – ich sage es ganz bewusst in dieser Reihenfolge – für mich persönlich." Merkel spielte damals kokett die eigene Rolle herunter, kein Mensch alleine könne die Dinge in Deutschland, Europa oder der Welt zum Guten wenden. Doch letztlich empfahl sie sich durchaus genau für diese Rolle – nicht bloß als Stabilitätsanker, sondern auch als Gestalterin, in Deutschland, in Europa, in einer Welt im Wandel.
Angela Merkel kann die gestaltende Rolle nicht mehr ausfüllen
Die Deutschen haben Merkel noch einmal gewählt. Aber weil sie eben ein Versprechen abgegeben hat, diese letzten Amtsjahre sinnvoll zu nutzen, ergibt sich für Merkel nun eine Verpflichtung: zu erkennen, dass sie diese gestaltende Rolle nicht mehr ausfüllen kann.
Wir erleben gerade eine absurde politische Phase, die nicht weniger absurd wird, weil es in anderen Ländern noch absurder zugeht. Aber wir hatten in Deutschland noch nie eine Kanzlerin, die zwar im Amt, aber nicht "in charge" ist. Eine CDU-Parteivorsitzende, die jeden Tag Kanzlerin werden will, aber (fast) jeden Tag Fehler macht. Und einen Koalitionspartner, der am Mitregieren verzweifelt.
In so einer Konstellation kann man Gegenwart verwalten. Diese Große Koalition bewegt rein statistisch gesehen nicht so Kleines. Aber man kann keine Zukunft gestalten. Das müssen wir Deutsche gar nicht alleine sagen, das sagen uns auch andere. Die New York Times hat gerade kühl konstatiert, Merkels "Zombie-Koalition" wolle einfach nicht sterben.
Was hält diese Koalition noch am Leben?
Was hält diese am Leben? Angst. Die CDU fürchtet Neuwahlen, weil die Grünen dann viel stärker würden. Die SPD-Mandatsträger fürchten sie, weil sie dann (noch) schwächer würden. Und dann ist da noch die Angst vor der AfD.
Natürlich sind Neuwahlen keine gute Option. Aber ist panische Furcht vor Neuwahlen besser? Es gäbe ja noch viel zu tun, heißt es aus den Volksparteien, etwa die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020, da dürfe das Land nicht mitten in der Machtfindung stecken. Doch wer erwartet von dieser Koalition ernsthaft eine visionäre deutsche EU-Präsidentschaft?
Es ist Zeit für Frau Merkel, sich einzugestehen: Sie, der man es in ihrer Uneitelkeit am ehesten zugetraut hätte, hat ihren Abschied verpatzt. Natürlich ist ihr Platz in der Geschichte sicher. Viele werden dieser Kanzlerin nachtrauern, in Deutschland und der Welt.
Aber wenn Merkel wirklich gelegen ist an der Reihenfolge von "Land, Partei, Person", muss sie den Mut finden, einen Neuanfang früher zuzulassen. Sie kann nachlesen, was sie selbst in einem legendären FAZ-Artikel 1999 Helmut Kohl zurief, als junge CDU-Generalin. Da schrieb sie: "Vielleicht ist es nach einem so langen politischen Leben, wie Helmut Kohl es geführt hat, wirklich zu viel verlangt, von heute auf morgen alle Ämter niederzulegen, sich völlig aus der Politik zurückzuziehen und den Nachfolgern, den Jüngeren, das Feld schnell ganz zu überlassen." Und fügte an die CDU hinzu: "Die Partei muss also laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen."
Angela Merkel schuldet eine Entscheidung: ihrer Partei. Ihrem Land. Und auch sich selbst.
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