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Kommentar: Ermittlungen gegen Jan Böhmermann beschädigen den Ruf der Kanzlerin

Kommentar

Ermittlungen gegen Jan Böhmermann beschädigen den Ruf der Kanzlerin

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    Werden keine Freunde mehr: Jan Böhmermann und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
    Werden keine Freunde mehr: Jan Böhmermann und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. Foto: Jörg Carstensen/Toms Kalnins, epa/dpa

    Angela Merkel hatte im Fall Böhmermann nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wie auch immer sie entscheiden würde, sie würde es falsch und somit alles nur noch viel schlimmer machen.

    So verfahren war die Situation, weil die Kanzlerin entgegen ihrer sonstigen Zurückhaltung von sich aus in einem Telefonat mit ihrem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu erklärt hatte, dass sie das im ZDF ausgestrahlte Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan für „bewusst verletzend“ halte – und dies auch ohne Not unverzüglich der Öffentlichkeit mitteilte. Wo war da ihr sonst so feines Gespür für die Sensibilität eines Themas?

    Für Erdogan, der in seinem eigenen Land rigoros gegen die Presse vorgeht, kritische Redaktionen schließen lässt und unter staatliche Aufsicht stellt sowie bisher rund 2000 Klagen gegen Journalisten wegen Beleidigung eingereicht hat, war dies praktisch ein Freibrief, auch auf deutschem Boden, auf dem Geltungsbereich des Grundgesetzes, das die Presse- und Meinungsfreiheit besonders schützt, gegen einen missliebigen Journalisten vorzugehen.

    Und ausgerechnet die Bundesregierung hat ihm dafür nun auch noch freie Hand gegeben. Gegen den Widerstand des Koalitionspartners SPD ermächtigte die Kanzlerin die Mainzer Justiz, Ermittlungen gegen Böhmermann wegen „Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten“ aufzunehmen.

    Böhmermann Gedicht: Paragraf 103 ist antiquiert

    Ihr Hinweis, die Politik halte sich aus dem Verfahren heraus und überlasse alles Weitere der unabhängigen Justiz, ist zwar formal richtig. Gleichwohl entsteht der fatale Eindruck, als kusche Merkel vor Erdogan und scheue den Konflikt mit dem selbsternannten Sultan der Türkei, weil sie ihn dringend für die Lösung der Flüchtlingskrise braucht.

    Der innenpolitische Schaden, die massive Kritik der Opposition wie der Journalistenverbände, erscheint ihr wohl als das kleinere Übel im Vergleich zum drohenden außenpolitischen Konflikt mit dem Land am Bosporus. Dieser Sturm, glaubt sie, legt sich bald schon wieder, während sie sich einen neuen Konflikt auf internationaler Ebene nicht leisten kann. Doch diese Rechnung könnte nicht aufgehen. Schon jetzt ist der Schaden groß – und Merkels Ruf beschädigt.          

    Wie unwohl ihr bei der Sache ist, belegt ihre Ankündigung, den „Majestätsbeleidigungsparagrafen“ 103 des Strafgesetzbuches, von dem die meisten Deutschen bis zu dieser Woche wahrscheinlich gar nicht wussten, dass es ihn überhaupt gibt, ersatzlos zu streichen. In der Tat ist er antiquiert, da er von einem längst überwundenen Obrigkeitsverständnis ausgeht. Beleidigung von Staats-Chefs: Das ist der Paragraf 103

    Majestäten gibt es in Deutschland seit 98 Jahren nicht mehr, auch ausländische Regierungschefs bedürfen keines besonderen Schutzparagrafen mehr. Denn jeder Bürger kann, wenn er glaubt, beleidigt worden zu sein, jederzeit bei den zuständigen Behörden Anzeige erstatten. Auch der Bürger Recep Tayyip Erdogan.

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