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Kommentar: Entscheidung des Papstes zum Hamburger Erzbischof macht fassungslos

Kommentar

Entscheidung des Papstes zum Hamburger Erzbischof macht fassungslos

Daniel Wirsching
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    Stefan Heße, Erbischof von Hamburg, bleibt im Amt: ein Weiter-so statt ein Neuanfang.
    Stefan Heße, Erbischof von Hamburg, bleibt im Amt: ein Weiter-so statt ein Neuanfang. Foto: Markus Scholz, dpa

    Die fassungslos machende Begründung, mit der Papst Franziskus den Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Amt belässt, entwertet die – auch aufrichtigen – Bemühungen innerhalb der katholischen Kirche, den Jahrhundertskandal des Kindesmissbrauchs in den eigenen Reihen aufzuklären und aufzuarbeiten. Vor allem: ihm angemessene Konsequenzen folgen zu lassen und wirklich Verantwortung zu übernehmen. Fassungslos macht die Begründung, weil in ihr mit keinem Wort die Betroffenen vorkommen. Weil sie das Sprechen des Papstes von „Null Toleranz!“ und von der Bereitschaft, spürbar für das Versagen und Vertuschen, für die verübten Verbrechen einstehen zu wollen, ad absurdum führt.

    Und: Weil sie eine Art Freifahrtschein darstellt. Demutsgesten und halbherzige Fehler-Eingeständnisse – gerne in Kombination mit einem (wenn auch unter massivem öffentlichem Druck zustande gekommenen) Rücktrittsgesuch – scheinen zu genügen, um höchste (Leitungs-)Ämter in der Kirche ausfüllen zu können. Selbst nachgewiesene Verstöße gegen eigene Vorgaben führen nicht dazu, dass ein Bischof gehen muss. Ja, nicht einmal dessen erklärter Wille, gehen zu wollen. Das ist die bittere Erkenntnis der Papst-Entscheidung zu Stefan Heße. Jede weitere Zeile ihrer Begründung ist ein härterer Schlag ins Gesicht von Betroffenen.

    Keine böse Absicht, also alles gut? So verspielt die katholische Kirche auch noch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit

    Das Grundproblem habe, so heißt es, "im größeren Kontext der Verwaltung der Erzdiözese (Köln, die Red.), im Mangel an Aufmerksamkeit und Sensibilität den von Missbrauch Betroffenen gegenüber" bestanden. Als ob es in erster Linie um Verwaltungsfragen oder um einen „Mangel an Aufmerksamkeit“ ginge! Was beides zudem klingt wie eine lässliche Sünde. Tatsächlich aber unter anderem bedeutete, dass Verdachtsfälle nicht den Strafverfolgungsbehörden angezeigt wurden.

    Im Falle Heßes ist im sogenannten Gercke-Gutachten nachzulesen, worin dieser „Mangel“ bestand. An einer Stelle wird er mit dem Satz zitiert: „M.E. sollte man aus den vorhandenen Dingen keine große Sache machen, da sich bisher von außen keine offiziellen Beschwerden ergeben haben und die Anhaltspunkte viel zu gering sind.“ Es ging um einen Beschuldigten, der, so der Vorwurf, „kleine Messdienerinnen angefasst“ haben soll.

    An einer anderen Stelle hält das Gercke-Gutachten fest, dass Heße als damaliger Leiter der Hauptabteilung Seelsorge-Personal im Erzbistum Köln pflichtwidrig gehandelt habe, „als er sich damit einverstanden erklärte, kein Protokoll über die Anhörung des Beschuldigten anfertigen zu lassen“.

    Stefan Heße, Erzbischof von Hamburg, bleibt im Amt: ein Weiter-so statt ein Neuanfang.
    Stefan Heße, Erzbischof von Hamburg, bleibt im Amt: ein Weiter-so statt ein Neuanfang. Foto: Markus Scholz, dpa

    Ein entsprechender Vermerk vom November 2010, der von seiner Bürokraft verfasst und laut Gutachten von ihm abgezeichnet wurde, hat viele Schlagzeilen gemacht: „Es wird von uns aus kein Protokoll hierüber gefertigt, da dieses beschlagnahmefähig wäre. (Es bestehen lediglich eigene handschriftliche Notizen, die notfalls vernichtet werden können.) Prälat Dr. Heße ist mit dem Prozedere einverstanden.“

    In der Papst-Entscheidung, Heßes Rücktrittsgesuch nicht anzunehmen, liest man: Der Heilige Stuhl habe nach eingehender Prüfung "Mängel in der Organisation und Arbeitsweise des Erzbischöflichen Generalvikariates sowie persönliche Verfahrensfehler Mons. Heßes festgestellt". Die Untersuchung habe jedoch nicht gezeigt, dass diese mit der Absicht begangen wurden, Fälle sexuellen Missbrauchs zu vertuschen. Keine böse Absicht, also alles gut?

    Die Entscheidung des Papstes ist ein Desaster – kurz nach Veröffentlichung der umfangreichen Hildesheimer Missbrauchsstudie, durch die etwa bekannt wurde, dass der ehemalige Geschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat an der Vereitelung der Strafverfolgung eines Priesters beteiligt war, der vor der deutschen Polizei nach Paraguay floh. Kurz nach Veröffentlichung eines Berichts über die schockierenden Fälle körperlicher und sexualisierter Gewalt im katholischen Josefsheim in Reitenbuch und im Marienheim Baschenegg im Bistum Augsburg.

    Und kurz vor Beginn der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in der nächsten Woche sowie kurz vor Beginn der zweiten Synodalversammlung des „Synodalen Wegs“ vom 30. September bis 2. Oktober. Dieser Gesprächsprozess zwischen den deutschen Bischöfen und engagierten Laien befasst sich mit den strukturellen Risikofaktoren, die Missbrauchsfälle in Reihen der katholischen Kirche begünstigen können. Er soll zu Reformen führen. Wohin er wirklich führt, ist mehr denn je ungewiss.

    Wieder einmal zeigt sich, dass Verantwortungsträgern mit großer Barmherzigkeit begegnet wird. Betroffene konnten und können damit nicht rechnen

    Die Papst-Entscheidung und mehr noch ihre Begründung ist ein Desaster, weil sie offenbart, wie hier eine Institution ihr eigener Ermittler, Ankläger, Verteidiger und Richter ist. Sie ist ein Desaster, weil die Kirche als „moralische Institution“ über Moral einmal mehr kein Wort verliert. Und: Weil die Entscheidung und ihre Begründung wieder einmal zeigt, dass kirchlichen Verantwortungsträgern mit großer Barmherzigkeit begegnet wird. Betroffene sexualisierter Gewalt konnten und können damit nicht rechnen. Wer soll einer solchen Kirche Vertrauen entgegenbringen?

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