Fehlendes Selbstbewusstsein kann man Ebrahim Raisi nicht vorwerfen. Schließlich nimmt der iranische Präsident für sich in Anspruch, ein Nachfahre des Propheten Mohammed zu sein. Weniger himmlisch sind die gewaltigen politischen und sozialen Probleme, mit denen der 60-Jährige, der am Donnerstag vereidigt wurde, konfrontiert ist. Nach seiner Wahl im Juni betonte er, dass es seine Mission sei, das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zurückzugewinnen. Raisi versprach, im Kampf gegen die Wirtschaftskrise und die allgegenwärtige Korruption auf Fachleute zu setzen, unabhängig von deren politischer Einstellung.
Das ist wenig glaubhaft. Schon bei der Präsidentenwahl wurden alle Kandidaten aussortiert, die Ajatollah Ali Chamenei, dem religiösen Führer und mächtigsten Mann im Land, nicht genehm waren. Vor diesem Hintergrund ist das Wahlergebnis Raisis eher irdisch: Er kam auf 62 Prozent, bei einer Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent - ein Minusrekord in der Geschichte der iranischen Republik.
Der 82-jährige Chamenei, der schwer krank sein soll, ist seinem Ziel näher gekommen, die Weichen für die Zukunft des Irans in seinem Sinne zu stellen. Präsident Raisi könnte in dieser Planung die Nachfolge des Obersten Führers zugedacht sein. Sollte es so kommen, wäre das für den Iran, aber auch für den Nahen Osten und den Westen eine schlechte Nachricht. Die religiöse Elite hat das gewaltige Potenzial des Landes Stück für Stück verspielt. Mit Terror und Bevormundung durch die radikalen Revolutionsgarden, der Missachtung von Frauenrechten und Inkompetenz. Gerade die junge Generation verfolgt derzeit mit ohnmächtiger Wut die Versuche der Mullahs, das Internet zu zensieren.
Warum sollte ausgerechnet ein Präsident, der für Massenhinrichtungen von Regimegegnern in den 80er Jahren verantwortlich gemacht wird und als Justizchef des Irans moderate Politiker mit verachtenden Kommentaren bedachte, Hoffnung auf eine Wende bieten. Gerade in den Großstädten ist Raisi als rückwärts gewandter Chamenei-Günstling verschrien. Unbeholfen wirken seine Versuche, dieses Image zu verbessern. Nur wenn es ihm gelingt, einen Weg aus der ökonomischen Dauerkrise zu finden, kann er an Kontur gewinnen. Wie schwer das ist, zeigen die heftigen Proteste wegen des alarmierenden Wassermangels in mehreren Provinzen.
Raisi weiß, dass die Sanktionen die Wirtschaft abwürgen
Auch Raisi weiß, dass die Sanktionen des Westens eine wirtschaftliche Erholung schon im Ansatz verhindern - die schmerzhaften Restriktionen kann er aber nur abschütteln, wenn ein neuer Atomdeal ausgehandelt wird. Das geht nicht ohne Zugeständnisse des Irans. Damit wiederum würde Raisi als heftiger Kritiker des früheren von den USA gekündigten Atomabkommens weiter an Glaubwürdigkeit verlieren. Seine Parole, er werde die Wirtschaft des Landes von Einflüssen aus dem Ausland unabhängig machen, ist fernab jeder Realität.
In die extrem schwierigen Verhandlungen über ein Atomabkommen platzt jetzt der Drohnenangriff auf einen Tanker, der einer britischen Firma gehört, die von einem israelischen Unternehmer geleitet wird. London und Washington machen den Iran für den Angriff verantwortlich. Es wäre schließlich nicht der erste iranische Angriff auf die zivile Schifffahrt. Wie viel Vertrauen verdient eine Führung, die ganz offensichtlich terroristische Akte für legitim hält?
Der Iran wird ein destabilisierender Faktor bleiben
Die Länder des Nahen Ostens - allen voran Israel - können sich sicher sein, dass der Iran sich weiter aggressiv in die Konflikte der Region einmischt. Regiert von einem Präsidenten, von dem man befürchten muss, dass fanatischer Dogmatismus die Oberhand über rationales Denken gewinnt.