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Kommentar: Ein Corona-Impfstoff ist kein Wundermittel

Kommentar

Ein Corona-Impfstoff ist kein Wundermittel

Matthias Zimmermann
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    Die Hoffnung auf einen Impfstoff gegen Covid-19 könnte trügerisch sein.
    Die Hoffnung auf einen Impfstoff gegen Covid-19 könnte trügerisch sein. Foto: Christoph Schmidt, dpa (Symbolbild)

    Wenig hat die Corona-Krise so unbeschadet überstanden wie das Bedürfnis der Menschen, sich an einer Heilserzählung festzuhalten. Die Hoffnung auf Erlösung in der Zukunft nährt auch eines der zentralen politischen Narrative dieser Tage: Alles wird wieder gut, wenn erst ein Impfstoff gegen Covid-19 gefunden ist. Die Unverbrüchlichkeit, mit der an dieser Idee festgehalten wird, hat manchmal quasireligiöse Züge. Umso schmerzhafter dürfte es werden, wenn die Realität sich nicht an dieses Wunschbild hält.

    Es ist vor allem seine enorme Verbreitungsfähigkeit, die das Virus so gefährlich macht. Der Lockdown und die radikalen Einschränkungen in allen Bereichen waren nötig, weil das Gesundheitssystem unter der Anzahl der Fälle zusammenzubrechen drohte. So kam es zur historischen Wirtschaftskrise und der in jeder Hinsicht beispiellosen Anstrengung, in Rekordzeit einen Impfstoff zu entwickeln.

    Ihr Umgang mit Risiken formt jede Gesellschaft

    Die Idee ist simpel: Die Menschen werden geimpft, damit das System sich so weiterdrehen kann wie bisher. Doch der Aufwand dafür ist enorm – kann die Welt vor der Krise aber auch nicht mehr zurückbringen. Noch immer rätseln Forscher, wer überhaupt immun ist gegen das Virus. Oder wie lange uns das Immunsystem nach einer überstandenen Erkrankung oder einer Impfung vor einer Infektion schützt. Geschweige denn, wie sehr sich das Virus im Lauf der Zeit verändert – und so die Wirksamkeit eines Impfstoffs schmälert.

    Abgesehen davon ist die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, unterschiedlich ausgeprägt – und dürfte sehr sensibel auf jede unvorhergesehene Fehlwirkung bei den unter größter Eile entwickelten Impfstoffen reagieren. Tatsache ist: Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben – und uns auf den Ausbruch neuer Pandemien vorbereiten. Das wird notwendigerweise die Art unseres Zusammenlebens verändern und die Wirtschaft zu schmerzhaften Anpassungen zwingen.

    Doch wenn man sich von der Jetztfixierung unserer global vernetzten Welt einmal löst, sieht man: Das ist keine neue Erfahrung. Auch im 19. Jahrhundert haben die Entwicklung eines leistungsfähigen Abwassersystems und neue Hygienevorschriften die Gesundheit der Bevölkerung verbessert – und nebenbei die Wirtschaft und soziale Normen verändert.

    Veränderung tut erst einmal weh, lässt sich aber nicht aufhalten

    Es erfordert Mut von politischen Entscheidungsträgern, das so offen zu sagen. Denn Veränderung tut erst einmal weh. Doch man kann sie höchstens aufschieben, nie aufhalten. Am weitesten hat sich diese Erkenntnis schon in der Wirtschaft durchgesetzt. Kein Unternehmer kann sich darauf verlassen, dass der Staat seine Hilfen unbegrenzt gewährt. Darum werden nun Lieferketten angepasst, Prozesse digitalisiert und Arbeitsmodelle flexibilisiert.

    Doch dabei wird es nicht bleiben, wenn der Nationalstaat noch viel mehr zum Wächter der Gesundheit wird. Der Städtetrip übers Wochenende nach Paris, Junggesellenpartys auf Mallorca – Blüten unserer Überflussgesellschaft, die durch die Einteilung der Welt in Risikogebiete sozial geächtet und politisch reglementiert werden könnten.

    Andere gesellschaftliche Konflikte dürften an Schärfe gewinnen. Die Pandemie hat auch einen globalen Wettbewerb um die beste Lösung des Problems ausgelöst. Zuvor undenkbare Maßnahmen waren und sind plötzlich möglich. Argumentativ dürfte es schwierig werden, bei drängenden Menschheitsfragen wie Klimaschutz, Artensterben oder auch Armutsbekämpfung hinter diese Anstrengungen zur Bekämpfung des Virus zurückzugehen. Wunder sollte man sich nicht erwarten. Aber Wunderglaube bietet vor allem jenen Zuflucht, die Angst vor der Zukunft haben.

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