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Kommentar: Die Weltmacht Amerika, die sich selbst zerfleischt

Kommentar

Die Weltmacht Amerika, die sich selbst zerfleischt

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    Die Weltmacht Amerika ist vor 20 Jahren ganz falsch abgebogen.
    Die Weltmacht Amerika ist vor 20 Jahren ganz falsch abgebogen. Foto: Patrick Semansky, AP, dpa (Symbolbild)

    Im Februar 1941 schrieb Henry Luce, Sohn eines Missionars und später Gründer des weltberühmten Magazins Time, einen Kommentar. Darin forderte er, mitten im epischen Ringen der Welt mit Hitlers Schergen, seine Landsleute auf, die amerikanische Neigung zum Isolationismus zu überwinden. Die USA sollten nicht nur in den Zweiten Weltkrieg eintreten (was später geschah), sondern wirklich ihre Rolle als Welt-Missionar annehmen. Luce schrieb: „Im ganzen 17., 18. und 19. Jahrhundert war dieser Kontinent mit mannigfaltigen Projekten und Zielsetzungen befasst. Das wichtigste und überragende Ziel davon – und das, was sich in die aufregendste Flagge der Welt und der Geschichte einweben ließ – war die triumphierende Suche nach Freiheit. In diesem Geist sind wir alle aufgerufen, jeder nach seinen Fähigkeiten, das erste und großartige amerikanische Jahrhundert zu schaffen.“

    Diese Sätze von Luce wirken etwas mehr als 80 Jahre später seltsam aus der Zeit gefallen. Wie vertragen sich die Worte vom amerikanischen Auftrag, vom amerikanischen Jahrhundert mit den aktuellen Bildern aus Afghanistan, wo die vermeintliche Supermacht nicht einmal einen Flughafen vor Terroristen schützen kann? Was sagt es über amerikanische Großartigkeit aus, wenn ein US-Präsident zwar nun donnert, man werde diese Terroristen jagen und bestrafen – aber seine Drohungen hohl klingen, weil doch Ähnliches schon von vielen Präsidenten gesagt wurde?

    Die Weltmacht USA ist vor zwei Jahrzehnten falsch abgebogen

    Dass Amerika vor genau zwei Jahrzehnten dramatisch falsch abgebogen ist, ist nicht mehr zu beschönigen. Der völlig ausgeuferte „War on Terror“, die Illusion, ganze Weltregionen in die Demokratie überführen zu können, war einer der kostspieligsten Fehler aller Zeiten. Den Preis dafür haben viele Menschen gezahlt, hat aber auch die Welt gezahlt, weil

    Ein Marine der «Special Purpose Marine Air-Ground Task Force-Crisis Response-Central Command» leistet Hilfe bei einer Evakuierung am Hamid Karzai International Airport.
    Ein Marine der «Special Purpose Marine Air-Ground Task Force-Crisis Response-Central Command» leistet Hilfe bei einer Evakuierung am Hamid Karzai International Airport. Foto: Sgt. Samuel Ruiz, U.S. Marine Corps, AP, dpa

    Das ist der größte Kollateralschaden der zwei US-Kriegsjahrzehnte, die nun partout zum Ende kommen sollen, wie es Joe Biden möchte. Rein nüchtern betrachtet, ist ein Ende der amerikanischen Vorherrschaft nämlich genauso wenig zu erwarten wie einst nach dem ebenfalls schmählichen Rückzug aus Vietnam 1975. Noch immer verfügt das Land über das mit Abstand schlagkräftigste Militär, noch immer über die innovativste Wirtschaftskraft – und auch nach wie vor über die größte „Soft Power“, die Fähigkeit also, durch Lebens- und Gesellschaftsmodelle, durch Filme, durch Kultur, durch Ideen zu überzeugen. Wer soll an die Stelle treten? Das autokratische China, das mafiös regierte Russland? Amerikas Anziehungskraft wird vermutlich sogar steigen, wenn es seine Verstrickung in aussichtslos gewordene Kriege beendet.

    Amerikas größter Gegner lauert zu Hause

    Zerstörerisch sind die Debatten daheim. Schon hetzt Donald Trump gegen den „Verlierer“ Biden, dabei natürlich unterschlagend, dass sein desaströser „Deal“ mit den Taliban die Grundlage für das Abzugsschlamassel gelegt hat. Amerika hat keine Streitkultur mehr. Es taucht wieder jenes Gespenst auf, das kurz verscheucht schien, Trumps Idee von „America First“ – teilweise erklärt die Angst genau davor auch die Radikalität und Hast von Bidens Abzug.

    Der größte Gegner Amerikas steht derzeit nirgendwo in der Welt, sondern zu Hause, an der Heimatfront. Und das ist leider für die ganze Welt eine echte Gefahr.

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