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Kommentar: Die SPD kann noch Geschichte schreiben, wenn...

Kommentar

Die SPD kann noch Geschichte schreiben, wenn...

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    Nur noch ein Schatten vergangener Zeiten.
    Nur noch ein Schatten vergangener Zeiten. Foto: Tobias Schwarz, afp

    Die SPD, man traut es sich in diesen Tagen kaum hinzuschreiben, war immer eine Fortschrittspartei, eine Bewegung mit Gespür für das Neue.

    Ihre geistigen Vorläufer begriffen im 19. Jahrhundert früh, dass es eine Gesellschaft zerreißt, wenn nur die Fabrikbesitzer vom Fortschritt profitieren, nicht aber die Fabrikarbeiter. Also trotzten sie Otto von Bismarck die Grundzüge eines Sozialstaates ab. Später witterten Sozialdemokraten am schnellsten, wie sehr der braune Sumpf der Nazis stank – und als nach dem Krieg der Muff der Nachkriegsrepublik zu abgestanden wurde, lüfteten sie mit ihrem „Mehr Demokratie wagen“ kräftig durch. Es war auch ein stolzer Sozialdemokrat namens Gerhard Schröder, der sich in sieben Amtsjahren zu mutigeren Reformen aufraffte als Nachfolgerin Angela Merkel in einer fast doppelt so langen Regierungszeit.

    Andrea Nahles hatte eigentlich ein Gespür für Probleme

    Wie kann es trotzdem sein, dass diese Partei gerade so verflucht retro wirkt? Wie ist es möglich, dass immer mehr Wähler sie gar nicht mehr für nötig halten?

    Mit Andrea Nahles, so viel steht fest, hat das nur am Rande zu tun. Das zeigt schon, dass sie die achte Person an der Parteispitze ist, die in der Ära Merkel verschlissen wurde. Gewiss, Nahles agierte schrill bis ungelenk, sie war zu sehr „Bätschi“ und zu wenig Staatsfrau. Doch ihr mangelte es nicht an strategischem Gespür. Im Gespräch konnte sich Nahles etwa schwarzärgern, wie wenig ihre einst so progressiven Sozis das Megathema der Moderne, die Digitalisierung, durchdrangen. Nahles war bewusst, dass der Paketbote von Amazon oder der Auslieferer vom Essensdienst heute der Kohle-Kumpel von gestern ist – auch wenn die Fabrikbesitzer von einst nun scheinbar schrecklich nette Internetplattformen sind, die sich damit schmücken, ja nichts Böses zu tun. Dass die SPD als Kümmerer-Partei genau diese Klientel erreichen müsste, wusste Nahles auch – und erst recht die vielen, deren Leben und Arbeitsplatz die

    Nahles war nicht gut genug. Aber die Partei trägt auch Schuld

    Nahles drang nicht durch. Daran ist sie zum Teil selbst schuld, sie war politisch nicht gut genug. Aber schuld sind auch die Strukturen ihrer Partei. Ein ganzes SPD-Küchenkabinett abgelegter Vorgänger war stets mit schnellem Rat, aber nie mit weiser Zurückhaltung zur Stelle. Gerhard Schröder hat sich gar im Ruhestand zum latent peinlichen Stenz mit Putin-Connection entwickelt, er kann seine Agenda nicht mehr glaubhaft gegen den Agenda-Frust seiner Partei verteidigen.

    Stattdessen durfte ein neunmalkluger Juso-Vorsitzender, der noch nie eine Wahl gewonnen hat, genau erklären, wie das am besten ginge – genauso wie die Chefin eines bayerischen Landesverbandes, deren Kernkompetenz in miserablen Wahlergebnissen besteht. Ergänzt wurde dies durch handwerkliches Versagen: Die SPD stellt in der Klima-Debatte die Klima-Ministerin, aber stellte diese lange kalt.

    Sind also die Grünen nun die neue Volkspartei? Moment. Die triumphieren so leise, weil sie wissen: Bewähren mussten sie sich noch nicht, sie konnten allen alles versprechen. Und: Vor etwas mehr als zwei Jahren galten die Grünen als abgemeldet, die SPD schnupperte kurz an 30 Prozent. Das kann die Partei wieder schaffen, aber dafür braucht sie statt neuen Personals eine neue Parole: Begeisterung.

    Oskar Lafontaine hatte damals Recht

    „Nur wer begeistert ist, kann auch andere begeistern“, hat Oskar Lafontaine mal gerufen – bevor er die Begeisterung für Verantwortung verlor. Der Satz bleibt jedoch gültig. Findet die SPD ihre Begeisterung für ihr Kernthema einer gerechteren Arbeitswelt wieder, ist sie noch lange nicht am Ende. Gelingt das aber nicht, kann sie sich die Arbeit einer Neuwahl an der Spitze gleich ganz sparen.

    Lesen Sie dazu auch: Andrea Nahles wirft hin – die Kämpferin mag nicht mehr

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