Das neue schwarz-rote Bündnis ist geschmiedet, das nervige Schauspiel um die Bildung einer neuen Bundesregierung beendet. Am Tag 137 (!) nach der Bundestagswahl haben sich CDU, CSU und SPD noch einmal zusammengerauft. Den Verlierern der Wahl, die gemeinsam nur noch 53 Prozent auf die Waage bringen, blieb am Ende keine andere Wahl als diese Zwangsheirat.
Warum? Erstens braucht Deutschland endlich wieder eine handlungsfähige Regierung. Zweitens hatten alle Angst davor, bei Neuwahlen abgestraft zu werden. Drittens hat das Vertrauen der Bürger in das parlamentarische System schon zu sehr gelitten, als dass sich die staatstragenden Volksparteien ein Scheitern der Verhandlungen hätten leisten können. Noch ist die Regierung Merkel IV nicht unter Dach und Fach. Doch das Risiko, dass die Mitglieder der SPD die kleine GroKo noch platzen lassen, ist ziemlich gering. Denn die SPD kann mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden sein. Der Koalitionsvertrag trägt nicht durchgängig ihre „Handschrift“. Aber gemessen an dem mickrigen Wahlergebnis von 20,5 Prozent hat die SPD eine Menge herausgeholt und ihre Haut teuer verkauft.
Das inhaltliche Profil von CDU ist schwammiger geworden
Alles in allem besehen ist die Union der SPD weit entgegengekommen – bis hin zur Dreingabe des Finanzministeriums, das unter Schäuble für einen Markenkern der CDU/CSU stand. Der Preis, den Angela Merkel für die Fortführung ihrer Kanzlerschaft zahlt, ist recht hoch, das inhaltliche Profil der CDU noch diffuser und schwammiger geworden. Merkel geht geschwächt in ihre vierte Amtszeit, die Debatte über die Zeit nach ihr wird bald beginnen. Warum also sollte die Basis der SPD Nein sagen? Zumal die Partei bei der Gelegenheit auch den überforderten Vorsitzenden Martin Schulz vergleichsweise elegant loswird. Schulz rettet sich – auf Kosten des kühl abservierten Sigmar Gabriel – ins Außenamt und macht Platz für Andrea Nahles, die neue starke Frau und mutmaßliche nächste Kanzlerkandidatin.
Die Opposition lässt erwartungsgemäß kein gutes Haar am Koalitionsvertrag. Richtig daran ist, dass sich Schwarz-Rot überwiegend auf eingefahrenen Gleisen bewegt und keine zündende Botschaft von der Zukunft Deutschlands hat. Man sieht nicht, worin genau der viel beschworene „Aufbruch“ besteht. Das nach dem Prinzip des Gebens und Nehmens entstandene Arbeitsprogramm enthält allerdings eine Vielzahl sozial- und familienpolitischer Verbesserungen sowie dringend notwendiger Milliarden-Investitionen insbesondere in Bildung und Digitalisierung.
Steuerreform bleibt ein Fremdwort
Man hat viel Geld zur Verfügung und gibt es aus, ohne freilich auch nur einen Gedanken ans Sparen an anderen Stellen zu verschwenden. Vorsorge für schlechtere Zeiten kommt zu kurz; strukturelle Reformen sind Fehlanzeige. In der Rentenpolitik etwa wird kräftig draufgesattelt, die Frage nach der langfristigen Finanzierbarkeit des Systems jedoch ausgeklammert. Oder: Steuerreform bleibt ein Fremdwort. Die Entlastung in Höhe von zehn Milliarden Euro ist angesichts der Einnahmerekorde ein schlechter Witz. „Spielraum“ für mehr wäre vorhanden gewesen – trotz der immensen Kosten der Massenzuwanderung, die von den Großkoalitionären gerne verschwiegen werden.
Hält diese aus der Not geborene Koalition bis 2021? Wer weiß das schon. An möglichen Bruchstellen jedenfalls ist kein Mangel. Sowohl in der Flüchtlings- als auch in der Europapolitik liegen CDU, CSU und SPD weiter auseinander, als die Vertragsprosa vermuten lässt. Im Ernstfall kommt es auf das gegenseitige Vertrauen und den Willen zur Zusammenarbeit an. Und um beides war es zwischen Union und SPD schon einmal besser bestellt.
Chefredakteur Walter Roller erklärt im Video, was mit der Großen Koalition auf die Bürger zukommt.
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