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Kommentar: Die Richter haben Boris Johnson gebremst - aber nicht gestoppt

Kommentar

Die Richter haben Boris Johnson gebremst - aber nicht gestoppt

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    Ein Mann vor dem Gericht hat sich als Boris Johnson in Sträflingskleidung verkleidet. Seine Meinung: Der Premier ist «schuldig».
    Ein Mann vor dem Gericht hat sich als Boris Johnson in Sträflingskleidung verkleidet. Seine Meinung: Der Premier ist «schuldig». Foto: Jonathan Brady/PA Wire (dpa)

    Es ist keine Übertreibung zu behaupten, dass niemand diese Entscheidung in ihrer Tragweite kommen sah. Umso lauter hallte der Paukenschlag über die Insel. Das höchste Gericht des Königreichs erklärte die von Premierminister Boris Johnson erzwungene Suspendierung des Parlaments für rechtswidrig.

    Es ist eine machtvolle Botschaft, die das Gericht mit der Entscheidung aussendet: Niemand steht über dem Gesetz, auch nicht die Regierung. Das Problem: Das Land ist völlig polarisiert. Brexit-Gegner feiern das Urteil, viele Europaskeptiker dagegen wüten. Die Stimmen, die die Justiz für ihre Einmischung in politische Fragen kritisieren, werden nicht verstummen.

    Dabei ist der Vorwurf, die Richter versuchten mit der Entscheidung den Brexit zu stoppen, respektlos und gefährlich. Eigentlich müssten die Anhänger von Johnson mit etwas Abstand erkennen, dass der Supreme Court hier stattdessen eine starke Bestätigung für die parlamentarische Demokratie geliefert hat. Die Souveränität der gewählten Volksvertreter kann nicht einfach je nach Gusto vom Premier beschnitten werden. Und es geht keineswegs um die Frage, auf welcher Seite man beim Thema Brexit steht.

    Die Regierung hat die ungeschriebene Verfassung bis an ihre Grenzen ausgereizt, hat provoziert und die sich über Jahrhunderte entwickelten politischen Traditionen und Gewohnheiten mit Füßen getreten. Die Briten mögen nun nicht mehr nur in der Brexit-Krise stecken, sondern auch in einer Verfassungskrise.

    Das aber ist gut so. Zum einen dürften die Forderungen nach einer geschriebenen Verfassung massiver werden. Die Politik muss sie nur endlich entsprechend handeln, auch wenn dies bedeutet, dass man mit enormem Aufwand hunderte Jahre Geschichte entstauben muss. Zum anderen zeigt das Urteil, dass das Königreich eben doch nicht jene Chaos-Insel ist, als die es sich seit dem Referendum oft präsentierte. Die Mutter aller Parlamente hat sich aufgebäumt, gekämpft – und vorerst triumphiert. Mit Stolz können die Briten auf den gestrigen Tag blicken. Hoffentlich machen die Abgeordneten auch etwas aus dem Sieg.

    Was passiert jetzt? Eigentlich muss Boris Johnson zurückgetreten, denn die Realität sieht düster aus: Ein lediglich von seiner Partei gewählter Premier ohne Mehrheit im Parlament unternahm den gesetzeswidrigen Versuch, das Unterhaus zu suspendieren. Es handelt sich um weitaus mehr als um einen strategischen Fehler des Regierungschefs. Der Schaden dieser vernichtenden Niederlage ist immens. In anderen Zeiten wäre Johnson nicht mehr tragbar. Dass er aber freiwillig aufgibt, gilt als unwahrscheinlich. Zu sehr hängt der machtgierige Politiker an seinem Amt, zu sehr jubeln seine Cheerleader noch immer über seinen unnachgiebigen Stil und sein Versprechen, das Königreich am 31. Oktober aus der EU zu führen – komme, was wolle.

    Zu sehr hängt Boris Johnson am Amt

    Nun kamen die Richter. Sie mögen ihn gebremst haben, aufhalten werden sie Johnson vermutlich nicht. Denn ihm dürfte bewusst sein, dass viele Wähler, von Skandalen übersättigt und von Streitereien genervt, äußerst unbeeindruckt auf das Urteil blicken. Ganz nach dem Motto: Wehrt sich hier nicht der europaskeptische Hardliner im Sinne aller Brexit-Wähler gegen das proeuropäische Establishment? Etliche Menschen haben sich längst vom täglichen Wahnsinn in Westminster abgewandt, interpretieren Entscheidungen und Einordnungen, ob von der Politik, Wirtschaftsvertretern oder eben auch Richtern, durch die Brexit-Brille.

    Der gravierende Unterschied ist: Anders als das Brexit-Votum geht dieses Urteil wirklich als Sieg der Demokratie in die Geschichte ein.

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