Robert Habeck war erst wenige Stunden in der Ukraine, als er mit einem Vorschlag überraschte, der das Dilemma der Welt im Allgemeinen und der Grünen im Besonderen verdeutlichte. Unter dem Eindruck eines Landes, an dessen östlicher Flanke seit Jahren ein Krieg tobt, ließ sich der Grünen-Chef zu einer unerwarteten Aussage hinreißen: Deutschland soll Kiew mit Waffen unterstützen, forderte er – nur, um das Gesagte wenig später zu relativieren.
Den Spott der politischen Konkurrenz wird Habeck über sich ergehen lassen müssen. Doch die kleine Episode offenbart ein großes Problem der Partei: Sie hat es versäumt, ihre außenpolitischen Grundsätze zu definieren. Während es den Realos in den vergangenen Jahren mit großem Erfolg gelungen ist, der Partei ihren Stempel in Fragen der Wirtschaft aufzudrücken, und damit ein neuer Pragmatismus eingezogen ist, sind sich die Grünen unsicher, wie sie es mit dem Griff zur Waffe halten sollen.
Ein Wunder ist das nicht, immerhin ist die Partei aus der Friedensbewegung entstanden. Seit jeher versteht sie sich als pazifistischer Gegenentwurf zur Konkurrenz. Wie aber unterscheidet sie sich noch von den anderen, wenn diese Prinzipien wanken, wo doch der Klimaschutz längst in der Mitte angekommen ist? Genau das müssen Annalena Baerbock und Robert Habeck erklären, wenn sie Anspruch auf Kanzleramt und Außenministerium anmelden wollen. Eine Partei mit neun Prozent kann sich in moralische Floskeln flüchten – eine Partei mit Umfragewerten von 25 Prozent muss Antworten geben. Nicht nur ihren Wählern, sondern vor allem den eigenen Mitgliedern.
Deutschland muss ein verlässlicher Partner sein
Wie schwierig der Spagat zwischen den eigenen Idealen und der Realpolitik ist, merken die Grünen bereits seit zehn Jahren in Baden-Württemberg. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann gerät immer wieder in Konflikt mit den eigenen Leuten, weil denen seine Politik manchmal zu geschmeidig daherkommt. Doch die Villa Reitzenstein ist nicht das Kanzleramt. Dort geht es nicht nur um Konflikte mit dem Koalitionspartner oder die Auseinandersetzung mit Interessenverbänden.
Wer auf der internationalen Bühne agiert, muss ein verlässlicher Partner sein. Ein Deutschland, das mit Wankelmut agiert, ist Gift für eine Welt, in der die Schurken nur darauf warten, die Schwächen anderer auszunutzen. Gerade in diesen Tagen werden Deutschland und Europa geradezu herausgefordert von einer Vielzahl von Konflikten weltweit. Angela Merkel ist auch deshalb in vielen Ländern hoch geachtet, weil sie klaren außenpolitischen Grundsätzen folgte – auch wenn sie die nicht immer mit größtem Mut vorangetrieben hat. Annalena Baerbock hingegen geriet schon beim jüngsten Nahost-Konflikt mächtig ins Schwimmen. Das ohnehin nur schwach ausgeprägte Vertrauen in die außenpolitischen Fähigkeiten der Öko-Partei hat sie damit jedenfalls nicht gestärkt.
Schon bei Joschka Fischer flogen die Farbbeutel
Macht hat ihren Preis und für die Grünen – sollte das Wunder tatsächlich geschehen – bestünde er darin, einen sicherlich schmerzhaften Prozess der Selbsterkenntnis anzustoßen. Denn erst wenn die Partei es schafft, die eigenen moralischen Standards mit der Realpolitik abzugleichen, kann sie wirklich als regierungsfähig gelten. Im Einzelfall ist das in der Vergangenheit ohnehin immer wieder geschehen. Allerdings wirkten diese Entscheidungen immer wie ein Votum gegen die aufmüpfige Basis. Als Joschka Fischer für eine deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg stimmte, flogen Farbbeutel. Als Cem Özdemir sich für Waffenlieferungen an die vom IS terrorisierten Kurden aussprach, erlebte er einen Sturm der Entrüstung. Es wird Zeit, dass die Grünen ihre Leitplanken markieren.
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