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Kommentar: Die Grünen müssen an Baerbock festhalten - gerade weil sie polarisiert

Kommentar

Die Grünen müssen an Baerbock festhalten - gerade weil sie polarisiert

Margit Hufnagel
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    Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock steht zu Recht in der Kritik. Trotzdem wäre es falsch, würden die Grünen von ihr abrücken.
    Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock steht zu Recht in der Kritik. Trotzdem wäre es falsch, würden die Grünen von ihr abrücken. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Manche Geschichten sind so gut, dass sie fast wie ein politisches Drehbuch wirken. Zum ersten Mal überhaupt in ihrer Geschichte wagen es die Grünen, eine eigene Kanzlerkandidatin ins Rennen zu schicken. Die Anwärterin scheint perfekt: Jung, klug, weltgewandt. Größer könnte der Kontrast zwischen ihr und den so verbissen um die Macht kämpfenden Männern mittleren Alters nicht sein. Die Umfragewerte explodieren, die Begeisterung reicht weit über die eigentliche Kernwählerschaft hinaus. Doch das wahre Leben kennt nicht immer ein Happy End. Für Annalena Baerbock läuft es inzwischen so schlecht, dass selbst die grün angehauchte tazvehement ihren Rückzug fordert. Ihr Ansehen ist im Sturzflug.

    Man darf davon ausgehen, dass selbst in den Büros der grünen Strategen zwischenzeitlich darüber nachgedacht wurde, ob nicht Robert Habeck der bessere Kandidat gewesen wäre. Habeck hat bewiesen, dass er Wahlen gewinnen kann. Habeck hat Regierungserfahrung. Habeck schreibt kluge Bücher. Und trotzdem wäre es ein gewaltiger Fehler, würden die Grünen nun ihre Spitzenfrau aus taktischen Gründen fallen lassen. Und das hat keineswegs nur damit zu tun, dass es schwierig ist, in einer laufenden Kampagne einen neuen Kandidaten, der immer als zweite Wahl gewertet werden wird, aufzubauen.

    Der harte Gegenwind zeigt, wie gefährlich Baerbock für ihre Gegner ist

    Dass Baerbock in einem ohnehin von hoher Nervosität geprägten Wahlkampf derart unter Beschuss geraten ist, zeugt doch auch davon, wie sehr sie von ihren Gegnern als Gefahr eingestuft wird. Während der Sozialdemokrat Olaf Scholz beinahe von der Öffentlichkeit unbemerkt durch die Republik tingeln kann, um für sich und seine Partei zu werben, wird bei der Grünen-Kandidatin jede Regung mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt. Denn Gegnern wie Unterstützern war klar: Wenn jemand das Selbstbewusstsein der Union herausfordern konnte, dann war das (entgegen deren eigener Selbstwahrnehmung) nicht die SPD, sondern Baerbock.

    Niemand polarisiert so stark wie die 40-Jährige. Von den einen wird sie verehrt, von den anderen verachtet. Das mobilisiert. Alleine durch ihre Person stand sie für ein Versprechen auf Veränderung, war sie die perfekte Gegenspielerin zur Union – eine ähnliche Euphorie hätte Habeck nie auslösen können, auch wenn er beliebt bei vielen Menschen ist. Wer glaubt, dass er unfallfrei durch das Wahlkampfgewitter gezogen wäre, unterschätzt zudem die Dynamik solcher Prozesse. Schon mit seinen Wissenslücken zur Finanzaufsicht Bafin und zur Pendlerpauschale zeigte er, dass auch er ein Kandidat mit Angriffsfläche geworden wäre. Nur, dass diese Schwächen vor dem Wahlkampf noch nicht so schwer wogen und Habeck mit eher harmlosem Spott davonkam.

    Baerbock würde als tragische Figur enden, wie einst Martin Schulz

    So hart es auch sein mag: Die Grünen müssen jetzt durchhalten, wollen sie sich als ernst zu nehmende Partei im deutschen Machtgefüge beweisen. Das heißt nicht, dass es mit einem „Augen zu und durch“ getan sein wird. Wenn es den Grünen nicht gelingt, den Blick zurück auf Themen zu lenken und weniger auf ihr bequemes Alleinstellungsmerkmal „Frau + jung + modern“, kann die Partei froh sein, im Herbst noch auf den dritten Platz zu kommen.

    Stoßen die Grünen Baerbock jetzt aber vom Thron, wird deren politische Karriere jäh beendet sein. Derart beschädigt könnte sie im Falle eines Regierungseintritts noch nicht einmal mehr ein Ministeramt übernehmen. Ähnlich wie einst Martin Schulz würde sie als tragische Figur in die Erzählungen eingehen - Drehbuch-Vorlagen gibt es also bereits. Die Kanzlerkandidatin muss deshalb beweisen, dass sie stark genug ist, den Gegenwind auszuhalten.

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