Noch ist die Ampel nicht auf Grün geschaltet – aber den rot, gelb, grünen Koalitionsverhandlerinnen und Verhandlern in Berlin ist schon ein Husarenstück gelungen: Sie inszenieren sich mit beträchtlichem Erfolg als ein Trio, das vor allem von Sorge um das Land und politische Inhalte getrieben sei, keineswegs aber von reinen Machterwägungen. Einen Aufbruch für Deutschland will Olaf Scholz bereits in der möglichen neuen Parteienkonstellation wagen; das klingt fast wie 1969, als Willy Brandt mit den Liberalen mehr Demokratie wagen mochte. Man kann vor so viel Inszenierungskunst, bis hin zum Gruppenselfie, entweder den Kopf schütteln oder den Hut ziehen; eins aber steht fest: Die ganze Inszenierung würde nicht so gut funktionieren, wenn nicht eine ganz wichtige Nebenrolle so exzellent besetzt wäre: die der Union, die vorspielt, wie moderne Parteien sich gerade nicht präsentieren sollten.
Armin Laschet war ein furchtbar schlechter Kanzlerkandidat
Vereinfacht formuliert: Die mögliche „Ampel“-Koalition strahlt aktuell für viele Bürgerinnen und Bürger auch deswegen so anziehend, weil die Union sich so abschreckend präsentiert. Eigentlich ist es bei ihr ein Schrecken ohne (klares) Ende, selbst wenn Armin Laschet nun einen personellen Neuanfang angekündigt hat, der bei ihm wohl anfangen wird. Doch wer die politische Autorität aufweisen sollte, um die Union wieder nach vorne zu führen, ist völlig offen. Wer zudem über die nötige moralische Autorität verfügen sollte, ist nach dem parteiinternen Gemetzel der vergangenen Tage noch offener. Ja, Armin Laschet war ein furchtbar schlechter Kanzlerkandidat. Aber es ist auch wahr, dass er von seinen Parteifreunden so furchtbar schlecht behandelt wurde, dass er keine Parteifeinde mehr brauchte. Im Namen Union sei das Ziel enthalten, Gegensätze zu versöhnen und zu Gemeinsamkeiten zu kommen, hat Laschet zum (Beinahe)-Abschied gesagt. Dieser Satz galt wohl noch nie weniger als derzeit für CDU und CSU.
Vor der Wahl war Christian Lindner noch skeptisch, ob eine Ampel-Koalition gelingen kann
Auch diese Selbstzerfleischung trägt dazu bei, dass die Ampel-Einigung so wahrscheinlich geworden ist. Dabei sind die inhaltlichen Differenzen durchaus groß. Noch vor der Wahl hatte Christian Lindner im Interview mit unserer Redaktion zu Protokoll gegeben, er könne sich nur ein einziges politisches Projekt vorstellen, das mit einer Ampel leichter umzusetzen sei als in einem Jamaika-Bündnis: die Freigabe von Cannabis. Bei Finanzen, der Rolle des Staates, auch der Schuldenpolitik in Europa klaffen enorme Unterschiede – übrigens ebenfalls bei den Jungwählern, die mehrheitlich grün und gelb gewählt haben und daher oft als Fundament dieses Bündnisses bezeichnet werden: Fragt man diese genauer, sind sie zur Rolle des Staates und Eigenverantwortung genau entgegengesetzter Ansicht, je nachdem, ob sie gelb oder grün gestimmt haben.
Dennoch birgt das Bündnis natürlich Chancen: Grüne und Gelbe könnten die SPD beim Klimaschutz antreiben oder auch in der Außenpolitik etwa zu einem härteren Kurs gegen Autokraten. Auch in der Gesellschafts- und Bildungspolitik sind von ihnen durchaus gemeinsame Akzente zu erwarten.
Und was wird aus der Union? Viele in der Partei bemühen gerade Fußballsprache: Es brauche nicht nur den richtigen Trainer oder Trainerin, sondern auch wieder Teamgeist. Andere ziehen den Vergleich zu großen Traditionsvereinen der Bundesliga, die viele Jahre nacheinander dem Abstieg knapp entronnen seien. Irgendwann hätten diese dann halt die Klasse verlassen müssen, um sich von Grund auf zu erneuern. Bisweilen fällt in diesem Zusammenhang der Name des Hamburger Sportvereins. Der Haken nur: Der HSV ist immer noch in der 2. Liga.