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Kommentar: Deutschland darf nicht länger an Nord Stream festhalten

Kommentar

Deutschland darf nicht länger an Nord Stream festhalten

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    Rohre für den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 werden im Hafen Mukran auf der Insel Rügen gelagert.
    Rohre für den Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 werden im Hafen Mukran auf der Insel Rügen gelagert. Foto: Jens Büttner, dpa

    Die USA haben in dieser Woche erstmals Sanktionen gegen den Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 verhängt. Auch der neue Präsident Joe Biden will daran festhalten. In Berlin sieht man darin nicht nur einen Affront unter Freunden, sondern auch einen Bruch des Völkerrechts. In Mecklenburg-Vorpommern, wo die Pipeline anlandet, spricht die Regierung zudem von einem antieuropäischen Akt.

    Richtig daran ist, dass die US-Sanktionen in ihrem Gebaren vollkommen inakzeptabel sind. Zugleich zeigt die offizielle deutsche Position aber, in welch unerträglicher Weise sich die Verantwortlichen hierzulande den Fall Nord Stream seit Jahren schönreden. Stichwort antieuropäisch: Erst am Donnerstag wieder forderte das EU-Parlament mit breiter, lagerübergreifender Mehrheit einen sofortigen Baustopp. Mit Russland, das Regimegegnern wie Alexej Nawalny nach dem Leben trachte, dürfe man keine Geschäfte machen. Es sind also keineswegs nur die USA, die Nord Stream ablehnen. Sie haben nur die effektivsten Mittel, politisch zu handeln.

    Die Idee einer Pipeline durch die Ostsee ist antieuropäisch

    Man wird in der EU lange suchen müssen, um außerhalb von Deutschland und vielleicht noch Österreich auch nur halbwegs überzeugte Unterstützer für das Projekt zu finden. Tatsächlich war schon die ursprüngliche Entscheidung, mit Wladimir Putins Gazprom-Staat eine Pipeline durch die Ostsee zu bauen, antieuropäisch. Man erinnere sich: Seinen politischen Segen in Berlin bekam das Projekt 2005, kurz nach der EU-Osterweiterung und der proeuropäischen Orangen Revolution in der Ukraine. Putins Plan war es, die Staaten zwischen Russland und Deutschland auszubooten. Und sein ziemlich bester Kumpel Gerhard Schröder, der spätere Nord-Stream-Chefaufseher, machte nur zu gern mit.

    Dieser feindliche Akt gegen die eigenen Freunde in Warschau und Kiew, Tallinn, Riga und Vilnius wirkt bis heute dramatisch nach. In Polen zum Beispiel gehört das Thema Nord Stream über alle Parteigrenzen hinweg zu den absoluten Dauerbrennern und schürt antideutsche Vorbehalte. Das ist keine Sache von PiS-Nationalisten, sondern berührt die Tiefenschichten polnischer Ängste, die sich aus einer 200-jährigen Geschichte deutsch-russischer Aggressionen speisen. Dass Berlin diese Befindlichkeiten bis heute ignoriert, trägt entscheidend zu der West-Ost-Entfremdung in Europa bei.

    Nord Stream ist kein rein unternehmerisches Projekt

    Da hilft es auch nicht, dass die Bundesregierung darauf verweist, Nord Stream sei ein rein unternehmerisches Projekt. Im Gegenteil: Diese Argumentation ist derart an den Haaren herbeigezogen, dass sie das Feuer in Ostmitteleuropa erst recht anfacht. Denn es ging von Anfang um geopolitische Erwägungen. Sibirisches Erdgas hätte man preiswerter und umweltschonender ohne Weiteres über modernisierte oder zusätzliche landgestützte Röhren nach Westen pumpen können. Nur hätte man dann eben Transitstaaten bezahlen müssen, die Putin lieber aushungern möchte.

    Und nun? Eine fast fertige Pipeline auf dem Meeresgrund ungenutzt verrotten zu lassen, kann nur das allerletzte Mittel sein. Die Bundesregierung wäre deshalb gut beraten, ein Moratorium auszurufen und den Weiterbau auf Eis zu legen. Das gäbe die Möglichkeit, nicht nur mit der neuen US-Regierung eine Verständigung zu suchen. Es würde auch der Diplomatie mit Russland Raum geben. Es wird sich ja eher früher als später zeigen, wie Putin mit Nawalny und mit der Freiheitsrevolte in Belarus umzugehen gedenkt. Nicht zuletzt bekäme so auch die neue Bundesregierung eine Chance, das Thema ab dem Herbst noch einmal mit frischem Blick zu bewerten.

    Lesen Sie dazu auch: DIW-Ökonomin kritisiert den Weiterbau von Nord Stream 2

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