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Kommentar: Deutschland braucht eine bessere Impfstrategie

Kommentar

Deutschland braucht eine bessere Impfstrategie

Michael Pohl
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    Die Impfstrategie von Jens Spahn und der Bundesregierung während der Corona-Pandemie wird oft beanstandet.
    Die Impfstrategie von Jens Spahn und der Bundesregierung während der Corona-Pandemie wird oft beanstandet. Foto: Thorsten Jordan

    Die erste Spritze mit dem lange ersehnten Impfstoff war kurz nach Weihnachten kaum gesetzt, da machte in Deutschland bereits das Wort vom „Impfdesaster“ die Runde. Inzwischen scheint das anfangs stark übertriebene Urteil zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu werden. Ein weiteres Mal rückt der Impfstoff von AstraZeneca in ein unglückliches Licht.

    Die Entscheidung, die Impfung mit dem Mittel des britisch-schwedischen Herstellers auszusetzen, ist tatsächlich ein Desaster für die deutsche Impfstrategie. Noch weiß niemand, ob die Entscheidung sich am Ende als richtig, falsch oder irgendwo dazwischen erweist.

    Impf-Dilemma für Gesundheitsminister Jens Spahn

    Doch jeder sollte sich davor hüten, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hier einen Fehler vorzuwerfen. Der CDU-Politiker stand dabei vor einem klassischen Dilemma: Auf der einen Seite erschüttert dieser Schritt das angekratzte Vertrauen der Bürger in den AstraZeneca-Impfstoff möglicherweise irreparabel. Auf der anderen Seite weisen die Erkenntnisse des zu Spahns Ministerium gehörenden Paul-Ehrlich-Instituts klar darauf hin, dass bei den Impfungen zwar ein minimales, aber reales Risiko gefährlicher Gehirnvenen-Verstopfungen besteht.

    Normalerweise trifft die sehr seltene Hirnvenenthrombose besonders Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren. Die wenigen an die Öffentlichkeit durchgesickerten Fälle stimmen damit überein. Möglicherweise lässt sich die Risikogruppe weiter eingrenzen und AstraZeneca wird wieder zur Verimpfung freigegeben. Hätte man also noch schnell die Fälle untersuchen sollen, bevor man in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern einen breiten Bann gegen den Impfstoff ausspricht?

    Selbst hartgesottene Managerberater empfehlen wie der Volksmund, wichtige Entscheidungen zu überschlafen. Das wäre zwar tatsächlich ratsam gewesen, um die vielen Konsequenzen zu prüfen, war aber für Spahn kaum möglich.

    Unhaltbares Schnelltest-Versprechen in Corona-Pandemie

    In der nicht erst seit der Pandemie daueraufgeregten Politik- und Mediengesellschaft voller Durchstechereien wären die Erkenntnisse des Paul-Ehrlich-Instituts nicht lange vertraulich zu halten gewesen. Doch auch Spahn liebt dieses an Hysterie grenzende Spiel. Sein unhaltbares Schnelltest-Versprechen setzte er auf dem medialen Fast-Food-Kanal Twitter in die Welt.

    Das AstraZeneca-Debakel sollte deshalb Anlass geben, in der außer Rand und Band geratenen Impfdebatte innezuhalten und die Impfstrategie zu überprüfen. Viele lautstarke Rufer wollen die Prioritätenliste ändern. Allerdings drohen dabei ausgerechnet die gefährdetsten zu Verlierern zu werden, was nicht sein darf.

    Drei von vier über 70-Jährigen haben bis heute nicht einmal die erste Impfdosis erhalten, bei den über 80-Jährigen ist noch immer mehr als jeder Dritte ungeimpft. Und immer noch landen laut Zahlen des Robert-Koch-Instituts tausende infizierte Seniorenheim-Bewohner im Krankenhaus. Wer über Impfversagen reden will: Hier ist es.

    Dritte Welle mit britischen Virusvariante rollt an

    Schon jetzt baut sich die dritte Pandemie-Welle mit der ansteckenderen und auch gefährlicheren britischen Virusvariante auf. Bevor also über eine Aufweichung der Prioritätenliste entschieden wird, müssen sich die Impfungen der Zentren und bald der Hausärzte viel entschiedener auf die Hochrisikogruppen konzentrieren. Bislang ging weit mehr als die Hälfte aller Impfdosen an medizinisches Personal und andere Berufsgruppen.

    Danach wird der Politik nichts anderes übrig bleiben als eine freie Wahl des Impfstoffs. Angesichts des fahrlässigen Umgangs mit dem Ruf des an sich sehr guten Impfstoffs von AstraZeneca sollten die Verantwortlichen hier endlich auf Werben statt Verordnen setzen.

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